A dirrrrrty Christmas Carol

Moviekritik: Filth
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Im Verleih von Ascot Elite

Wer in Edinburgh Ferien macht, möchte nicht als kalter Körper in einer Unterführung enden. Kein schöner Abgang, kein schöner Anblick, aber ein höchst erfreulicher Anfang der Weihnachtszeit für Detective Bruce Robertson (James McAvoy, «Atonement», «Narnia»). Schliesslich ist ein aufgeklärter Mordfall ein gutes Argument für die langersehnte Beförderung. Doch bevor Bruce sich 100% um die Ermittlungen kümmern kann, muss er seinen abwechslungsreichen Hobbies nachgehen. Da wäre zum einen die sexuelle Belästigung der Frau seines besten Freundes Bladesey (Eddie Marsan) oder die Drangsalier-Affäre mit der Frau seines Arbeitskollegen Hector. Andererseits kann Bruce auch mit seiner Polizeimarke in Not geratene Minderjährige zu Blow-Jobs zwingen.

 

Die Qual der Sex-Wahl, der steigende Leistungsdruck und die sozialen Drogen-Verpflichtungen mit Sidekick Ray Lennox (Jamie Bell, «Billy Eliott») zwingen Bruce ausserdem zum regelmässigen Kokskonsum. Die vom Arzt (Jim Broadbent, «Moulin Rouge») verschriebenen Pillen vertragen sich dann aber nicht ganz so optimal mit dem weissen Pulver und Bruce halluziniert immer häufiger munter drauf los. Einzig die alleinerziehende Mary vermag - trotz aller Räusche - bei Bruce noch echte Gefühle hervorzurufen, wäre da nur nicht Bruce Ehefrau Carole, die auch ein Wort - oder auch zwei - mitzureden hat.

  

Bild 1: Zwei Freunde und ein bisschen Sperma. / Bild 2: Die freizügige Ehefrau Carole. (Mit Maus über Bild fahren)

 

«Filth» basiert auf dem gleichnamigen Roman von Irvine Welsh, welcher uns vor Jahren «Trainspotting» lieferte. Ein damals noch unbekannter Regisseur namens Danny Boyle nahm sich des Buches an und läutete damit eine neue Epoche im britischen Kino ein. Nun versucht sich Regisseur Jon S. Baird («Cass») mit dem als unverfilmbar geltenden «Filth“. Im Gegensatz zu recycelten Fantasieabenteuern galt «Filth» nicht aufgrund des fehlenden Realitätsbezugs als schwer cineastisch umsetzbar, sondern aufgrund der derben Sprache und Situationen. Es wäre nämlich ein Leichtes gewesen, «Filth» in eine belanglose schwarze Komödie umzusetzen, die primär dazu da wäre, uns zu schockieren. Doch dies würde Irvine Welsh nicht gerecht werden. Der Schotte provoziert in seinen Werken zwar gerne und gekonnt, doch was seine Arbeit am meisten von jener anderer Autoren unterscheidet, ist seine Furchtlosigkeit in der Darstellung seiner Protagonisten. Diese verkörpern selten gute oder sympathische Charaktere, lassen aber den Leser nie kalt. Und genau diesen einen entscheidenden Faktor hat Regisseur Baird eindeutig begriffen, wie sein genial geschriebenes Drehbuch zeigt. So folgt der Film nicht blind der Erzählung im Buch. Nein, Baird konzentriert sich lieber auf seine Kerninterpretation des Stoffes und setzt diese im Medium Film gekonnt um. Dabei lässt er in einigen Sequenzen deutlich seine Vorbilder - wie Stanley Kubrick oder Milos Foreman - durchsickern.

 

Bild 1: Zu einem Kurztrip nach Hamburg gehört ein Besuch in der Ritze. Filmisch vertont mit «99 Luftballons». / Bild 2: Das ausschweifende Leben zerrt an den Kräften. 

 

Bairds Vision wäre aber nicht denkbar ohne die atemberaubende Leistung eines entscheidenden Mannes. James McAvoy. Er spielt Bruce nicht nur, er ist Bruce Robertson. Und das in jeder einzelnen Szene. Besonders erfreulich an McAvoys Gradwanderung der Gefühle sind jene kleinen Fragmente, in denen er sich als Bruce direkt an uns Zuschauer wendet. Und obwohl McAvoy seine Nebendarsteller förmlich an die Wand spielt, entwickelt sich die Story trotz seiner immensen Präsenz weiter.

 

I’m a Creep

 

 

Denn ein manipulatives Ekelpaket wie Bruce mag zwar über längere Zeit hinweg seinen Reiz besitzen, doch ab einen gewissen Punkt braucht der Film mehr Substanz als nur die Eskapaden eines charismatischen Mannes. Und diese Substanz hat „Filth“ auch. Wenn in der ersten Hälfte vor allem sexistische, chauvinistische, rassistische und homophobe Parolen die Handlung füllen, lässt uns die zweite Filmhälfte in Bruces mentalen Zustand blicken. Durch den exzellenten Soundtrack wird sein geistiger Zerfall zudem musikalisch nachempfunden. Neben alten Evergreens wie «Born to be wild» und «Will You Still Love Me Tomorrow» sind auch moderne Klassiker wie «Creep» oder «Mercy» zu hören. Lieder und Liedtexte treffen den Nagel atmosphärisch perfekt auf den Kopf und tragen so merklich zum visuellen Genus bei. Clint Mansells eindringlicher Score ergänzt die Songs zudem tadellos.

 

Kurz: Jon S. Bairds Adaption ist ein cineastischer Bungee-Jump ins Ungewisse mit einem hypnotisierenden Hauptdarsteller, der in uns die widersprüchlichsten Gefühle auslöst. Schon jetzt ein potenzieller Kultfilm par excellence.

 

 

  • Filth (2013)
  • Besetzung: James McAvoy, Jamie Bell, Eddie Marsan, Imogen Poots, Jim Broadbent
  • Regie & Drehbuch: Jon S. Baird
  • Roman: Irvine Welsh
  • Dauer 97 Minuten
  • Ab 17. Oktober im Kino

 

Tanja Lipak / Sa, 19. Okt 2013