Gerard: «Musik ist nichts anderes, als Gedanken und Ideen»

Interview mit Gerard
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Pressebild / @Kidizinsane

Wir haben mit dem Österreicher Gerard über sein drittes Album «AAA», die Gründung des eigenen Labels, Deluxe Boxen ohne CD’s und seine bevorstehende Karriere als Schauspieler geredet. Und über seine liebsten Schweizer Musiker. Denn er kennt alle, wie er selbst gesagt hat.

 

Weshalb hast du dein eigenes Label namens Futuresfuture gegründet? Was waren deine Beweggründe dazu?

Meine ersten beiden Alben überhaupt, die habe ich auch ganz selber gemacht. Beziehungsweise mit ein bisschen Hilfe von meinem Management. Da jetzt alle Verträge ausgelaufen waren dachte ich mir, dass der richtige Zeitpunkt ist um wirklich alles ganz selber zu machen. Es war der nächste logische Schritt für mich.

 

Und was ist deine Idee, dein Konzept dahinter?


Heutzutage sind die meisten Künstler schon so selbstständig, dass sie ein Label nur noch für die Kleinigkeiten brauchen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass sie faire Verträge haben.

 

Wie fühlt es sich an, dass du jetzt dein eigener Boss bist?


Da ich ja schon bei früheren Produktionen so ziemlich alles selber gemacht habe, gar nicht so viel anders. Aber schon ein bisschen geiler natürlich! (lacht) Auch, weil ich jetzt wirklich alles machen kann. Ohne schlechtes Gewissen, falls ich es vorher mit niemandem abgesprochen habe. Früher kam es schon ab und an mal vor, dass ich irgendwas gepostet habe und dann bekam ich einen Anruf, weil das noch gar nicht an die Öffentlichkeit hätte gehen dürfen.

 

Wie kamen die Features zustande?

Schönbrunner Gloriettenstürmer und Naked Cameo sind ja selbsterklärend, weil sie bei dir unter Vertrag sind.
Eigentlich waren die Songs schon fertig. Das sind gar keine richtigen Features sondern, ich hab mich quasi von einem Teil eines ihrer Lieder bedient. Was auch sehr praktisch ist, so als Labelinhaber, weil du kein anderes Label anfragen musst. 
Und «Frösche» mit I Salute ist eigentlich so entstanden, dass er mal bei mir in Wien war für ein paar Tage. Wir wollten gar nicht unbedingt ein Feature zusammen machen. Es kam ganz natürlich, wir haben einfach gechillt, ich hab ihm meine Songs vorgespielt und er mir seine. Dann hatte er noch eine Skizze und ich noch eine - beide waren so halb fertig. Und die haben dann perfekt gepasst. Auch sehr spontan auf den letzten Metern. 

Und ich fand’s eben auch wieder so geil, weil das Intro und das Outro, halt sehr zusammen passen. Weil halt beides so ein bisschen weird ist. Mir gefällt sehr gut, dass beim letzten Song quasi die erste Zeile von I Salute «you can be just like me» ist. Das ist auch irgendwie geil, dass du so ein Album hast, voll persönlich bist und bei der erste Zeile vom letzten Lied sagt jemand anderer «you can be just like me». Das bringt auch wieder so eine völlig neue Ebene auf das ganze.

 

Hast du irgendwas an deiner Herangehensweise geändert seit deinem ersten Album?


Ich habe mich immer mehr in die Produktion eingelassen. So dass ich dann quasi von Null an mit dabei bin, wenn der Beat entstand. Ich bin ein bisschen gelassener geworden, bin nicht mehr so  leicht gestresst. Früher bei Blausicht, wenn so alles anfängt, da denkst du: Okay, jeder Song kann DER Hit werden.

 

Und mittlerweile, wenn du dann ein bisschen souveräner wirst … 

… und zudem viel mehr Erfahrung hast.
Ja, genau das kommt noch dazu. Früher wenn irgendwelche Dinge nicht geklappt haben, dachtest du: Alles vorbei! Mittlerweile hast du dann auch so eine gewisse Souveränität, du weisst, dass gewisse Dinge nicht klappen. Und du merkst auch, dass das bei allen so ist. Egal mit welchen Leuten du zu tun hast und egal wie erfolgreich die sind. Bei jedem ist im Hintergrund immer voll viel, was nicht so läuft wie sie es gerne hätten. Und das gehört dazu. Sowas musste ich aber auch erstmal lernen. Es ist Teil des Jobs. Wenn du Kunst machst und vor allem wenn du Dinge machst, die vor dir noch keiner gemacht hat, dazu gibt es noch keine Patentlösung. Man muss sich immer aufs Glatteis wagen.

 

 

«CD- und Plattenspieler habe ich zur Zeit keinen. Doch ich kauf mir auch einfach Platten um sie aufzustellen, weil mir das Design gefällt. Aber eigentlich ist Streaming so meine Art Musik zu konsumieren. Finde ich am gemütlichsten.»

 

 

Wieviel von deiner Zeit, die du brauchst um deine Musik zu machen, nehmen dir die Künstler von Futuresfuture?


 

Eigentlich gar keine. Ich hab ja auch ein Labelpartner, der das ganze seit 10 Jahren schon sehr erfolgreich macht. Er hat auch Wanda ganz gross rausgebracht zum Beispiel. Er kennt sich da wirklich gut aus. Und ich bin eher so der Coach oder Berater. Das ist auch gar nicht mal so zeitaufwendig. Da geht es mehr um Ideen. Und wenn ich dann bei meiner Musik anstehe, dann geh ich zu einem andern Künstler und mach mir so den Kopf frei. 
Viele Ideen die ich habe, die passen auch gar nicht zu mir als Künstler, zur Marke Gerard. Also wir haben zum Beispiel die Glorietten Stürmer bei uns und mit denen kannst du einfach alles machen. Deshalb ist es auch so inspirierend, dass ich Ideen mit andern Künstlern dann umsetzen kann. Das Lustige an meinem Job ist ja, dass ich kreativ sein kann. Gedanken die ich habe, kann ich zu etwas machen. Grundsätzlich geht es bei der Musik darum, Ideen zu entwickeln und kreativ zu sein. Und ob da am Ende des Tages Gerard oben steht oder ein anderer Name ist mir egal. Es macht es nicht weniger lustig, wenn ich nur im Hintergrund mit dabei war. Deshalb habe ich immer genügend Zeit für meine eigene Musik. Es ist mir sehr wichtig und darauf werde ich immer Acht geben.

 

Was würdest du machen, wenn du nicht Musiker wärst?


Schauspieler sein. Das will ich jetzt auch mehr machen, wenn sich was ergibt. Ich glaube, dass macht richtig Spass. Und ich würde gerne selber Kurzfilme drehen. Vielleicht klopf dann irgendwann Hollywood an, weil sie mit mir zusammenarbeiten wollen. (lacht)

 

Also dann eher Filme und nicht Theater?


Nein, Theater nicht so. Ich bin viel zu ungeduldig dafür. Da machst du irgendwie jeden Tag das Selbe …

 

Das ist ja ähnlich, wie wenn du auf Tour Konzerte gibst.


Ja, das ist eigentlich wie ein Konzert geben, wenn man das so sieht. Aber das ist halt auch nirgendwo festgehalten. Da kommt wieder dieser zeitlose Gedanke ins Spiel. Wenn du in 10 Jahren das Gerard-Album hören willst, dann kannst du das hören. Du kannst zwar nicht mehr zum Konzert zurück, aber du kannst das Album hören. Und den Film kannst du auch immer wieder anschauen. Beim Theater ist das anders, weil es einmal da ist, für zwei Wochen jeweils ein Abend und dann ist es weg. 
Film ist lustiger, glaube ich. Vor allem, weil ich auch ein sehr global denkender Mensch bin. Beim Theater müsste dann jeder nach Wien kommen. Oder nach Berlin meinetwegen. Filme sind weltweit. Da kannst du auch Untertitel machen und jeder kann es sich anschauen. Das finde ich viel zeitgemässer.

 

Wie hörst du eigentlich deine Musik? Hast du einen Plattenspieler?


Ich verwende Streaming. CD- und Plattenspieler habe ich zur Zeit keinen. Doch ich kauf mir auch einfach Platten um sie aufzustellen, weil mir das Design gefällt. Aber eigentlich ist Streaming so meine Art Musik zu konsumieren. Finde ich am gemütlichsten.

 

Das ist praktisch, weil du deine ganze Musik auch immer überall dabei hast auf dem Smartphone.


 

Ja, genau. CD’s kaufe ich schon lange nicht mehr. Wenn Künstler CD’s machen sollten die irgendwie noch was Besonderes dazu bieten. So wie bei unserer Deluxe Box, da haben die Käufer noch meine Handynummer dazu und einen Backstagepass. Wir hatten uns auch überlegt eine Box ohne CD zu machen.


 

Eine Box ohne CD? Dann nur mit Extras?


Die Box mit der CD macht man ja oft nur wegen den Charts und dem Umsatz. Was uns aber völlig egal ist. Deshalb kostet die Box ja auch gleich viel wie die CD alleine. 
Ne Vinyl zum Beispiel, die finde ich geil, weil du was richtiges in der Hand hast und das aufwändige Artwork viel besser zur Geltung kommt.

 

Wie kamst du eigentlich auf die Idee mit dem Backstagepass?

Normalerweise ist ein T-Shirt mit exklusivem Design darin und ein paar Sticker.
 Das hatte mehrere Gründe. Bei der Tour habe ich gemerkt, dass ich wirklich coole Fans und Hörer habe, wenn ich mit ihnen nach dem Konzert am Merchandise-Stand geredet habe. Deshalb dachte ich, dass es eine schöne Möglichkeit wäre, wenn man die mal näher kennenlernen könnte. So richtig halt, nicht nur, wenn man völlig fertig ist nach dem Konzert und eigentlich zum Hotel stressen muss. Da wäre es doch viel besser, wenn man einen Nachmittag lang oder so einfach mal Grillen könnte. Damit man auch genügen Zeit hat um halt mit jedem zu reden. Das war der Hauptgedanke. 
Ich bemüh mich halt immer, dass ich neue Dinge mache. Manchmal gehen sie schief, so wie der Regenponcho in der letzten Box. Das waren so die Gedanken. In erster Linie auch kein T-Shirt, wegen den Grössen. Und wenn du ein T-Shirt willst, dann kannst du es dir auch beim Merchandise Stand kaufen. Es bringt dir ja nichts, wenn du S hast und dann hast du da ein L Shirt. Oder umgekehrt.

 

 

Facebook Status macht mir keinen Spass.


 

 

Wie kam es dazu, dass du so regelmässig kurze Videos auf Instagram oder Snapchat postest?


Grundsätzlich ist es einfach so, dass ich selber grosser Fan bin von diversen Künstlern. Zum Beispiel von Mike Skinner, der sehr oft Vloggs gemacht hat über die Entstehung seiner Lieder. So wusste man bei gewissen Songs wie die Entstanden sind, oder was der Auslöser für die Idee vom Song war. Und das hat mit schon immer sehr gefallen.

 

Gibt es bei dir auch ein Lied das einen solchen Auslöser-Moment hatte?


Ja, als ich in Los Angeles am Flughafen LAX war habe ich sehr viele Bilder und Videos auf Instagram gepostet. Und jetzt, quasi ein Jahr später, haben wir den Song «Wolken Aus Gold». Der beschreibt genau diesen Moment, wenn du von LA weg fliegst. Ich möchte den Leuten auch einfach zeigen, woher meine Gedanken und Ideen für die Lieder kommen. Und heutzutage ist das dank den sozialen Medien super einfach geworden.

 

Wirst du das auch in Zukunft so weiterführen für dein nächstes Album?


Ja, weil es mir vor allem auch sehr viel Spass macht. Also Facebook Status macht mir keinen Spass, aber Instastory ist cool, weil du selbst im Alltag noch irgendwie kreativ sein kannst. Du bist dann so wie ein Regisseur, der seine eigenen kleinen Filme dreht. Das finde ich schon ganz lustig und wie gesagt, es macht mir sehr viel Spass.

 

Es ist ja auch praktisch, dass der ganze Content nur 24h auf der Plattform zu sehen ist.

Genau. Da muss man dann auch nicht Angst haben, dass irgendeine schlechte Sound-Demo im Internet landet und die Leute sich daran satt hören, anstatt auf den richtigen Song zu warten. Das geht halt technisch gar nicht.

 

Welches ist dein Lieblingslied von «AAA»?

«
Moonbotica Mond»

 

Ein sehr toller Song.

Ist dann auch die nächste Single am 23 Juni. Da haben wir jetzt auch das Video für gedreht. Auf den Song bin ich schon ziemlich stolz. Der ist so geil, und ich hab ziemlich lange daran rumgedoktert. Viele verschiedene Refrains, viele verschiedene Strophen obwohl es gar nicht so wirkt.

 

«Moonbotica Mond» hört man irgendwie so zweimal und der Refrain ist schon direkt im Kopf und man kriegt den nicht mehr raus.

 

Der Song hat definitiv Ohrwurm-Potential.
Ja das finde ich auch. Das ist so ein Song wo du dich fragst: wer macht sonst sowas in der deutschsprachigen Musik? Also mir fällt da einfach keiner ein.
Ich hatte aber auch angst, dass es viel zu weird ist. Dann hab ich ihn mal bei einem livestream auf Facebook vorgestellt und er kam ziemlich gut an.

 

 

«Blausicht - der schlüssigste Cloudrap Entwurf Europas.»

 

 

Das ist dann die beste Bestätigung für dich, dass du alles richtig gemacht hast.


 

Ja voll! Ich will ja auch immer extremer werden, wenn man das so sagen kann. Also immer radikaler. Und das ist halt so ein weiterer Schritt zu meiner «Extremheit». (lacht) Und ich bin halt auch echt gespannt wie es dann bei allen ankommt.


Solange es noch nach Gerard klingt, kann man schon rumexperimentieren.
Eben, dass seh ich auch so. Wenn ich mir so Playlisten durchschau bei all diesen Streamingdiensten, da ist Rap halt grad zu 90% nur Strassenrap. 5% ist so Cloudrap und 5% ist Marteria. Deshalb bin ich schon gespannt wie meine Musik ankommt.

 

Was hältst du von Cloudrap?


Wie bei jeder andern Musikrichtung gibt es gutes und nicht so gutes. 

 

Bist du offen für neue Musik?

Also für neue Richtungen des Raps? 
Auf jedenfall. Und Cloudrap ist ja auch gar nicht so neu, es kommt halt einfach erst jetzt im Mainstream an. Ich weiss noch zum Beispiel, dass Hip-Hop-vinyl.de haben damals Blausicht als den schlüssigsten Cloudrap Entwurf Europas bezeichnet. 

Was?

Weisst du, damals war das noch Cloudrap. (lacht)

 

 

«Ich kenne alle Musiker aus der Schweiz!»

 

 

In den letzten paar Wochen gab es doch ziemlich viele Releases was Deutschrap angeht. Marteria hat was rausgebracht. SXTN und Kraftklub auch. Auf welche anderen Alben in diesem Jahr freust du dich?


 

Hm, aus Deutschland …

 

Oder aus der Schweiz, falls du jemanden kennst.

Ich kenn alle Musiker aus der Schweiz und vor allem aus Zürich.

 

Du kennst alle?

Schon, ja.

 

Kennst du Skor?


Ja, natürlich!


 

Cool. Der hat heute Mittag eine neue Single rausgebracht.
Ah geil, hör ich nachher gleich. Das war eh so lustig, als ich das letzte mal im Papiersaal in Zürich gespielt hatte, redete ich mit der Veranstalterin über Schweizrap und sagte ihr, dass ich Skor gut finde. Er hat doch dieses Video, wo die Leute in den Bergen mit Trachten rumlaufen, oder? Mega gut. Und meine Band ging nach dem Konzert in Zürich noch feiern und am nächsten Morgen haben sie mir erzählt, dass sie Skor getroffen hatten.

 

Verstehst du die Texte dann auch?


Also nicht immer auf’s erste Mal. Vielleicht auch nicht immer alles, aber schon viel.
Auf «Neue Welt» ist ja auch eine Produktion drauf von einem Mitglied von Sektion Kuchikästli. 
Und auch lustig, letztens war ich in Berlin beim Konzert von OK Kid und da war Faber Vorprogramm. Ich bin ein mega grosser Fan! Also ihn finde ich grade aus der Schweiz das Interessanteste. «Alles Gute» finde ich hammer oder «Wer Nicht Schwimmen Kann Der Taucht» ist unfassbar geil.

 

Was machst du, wenn du eine Schreibblockade hast?


Nicht schreiben.


 

Nicht schreiben? Also alles andere machen? Staubsaugen?


Ja, also dann hab ich auch genug andere Dinge zu tun. Aber so richtig Schreibblockade kenn ich eigentlich gar nicht.

 

Das ist ja mega gut!


Also natürlich gibts Tage, wo’s nicht so läuft. Aber Schreibblockaden wo mir jetzt drei Monate nichts einfällt, dass hab ich zu Glück gar nicht. Ich denke da ist einfach wichtig, dass du nicht verkrampfst. Es ist natürlich immer ein schmaler Grat. Du kannst die Eingebung ja nicht forcieren, musst dich aber trotzdem hinsetzen und darauf warten. Es ist so ein Teils Teils. Einerseits schon einfach nur machen, machen machen. Andererseits musst du auch immer locker bleiben. Es ist immer ein Spiel mit dir selber und deinen Gedanken. Weil es sind ja eigentlich nichts anderes als Gedanken. Musik ist nichts anderes als Gedanken und Ideen. Das ist so interessant. Also nicht mal unbedingt auf Musik bezogen, sondern auch aufs Gehirn. Wie das alles funktioniert mit nicht zu sehr unter Druck setzen. Dann aber doch die richtige Art von Druck finden.
Aber wie gesagt, so eine richtige Schreibblockade über Monate hinweg kenn ich eigentlich nicht.

 

Dein Album hat ein Intro und ein Outro, doch die Songs sind nicht so betitelt, jedoch viel instrumentaler als die anderen. Bist du hingesessen und hast dir gesagt, jetzt mach ich ein Intro für das Album und ein Outro. Oder ist das per Zufall entstanden?

 


Das war ein totaler Zufall eigentlich. Weil, der zweite Song «Mehr» ist ja mit Abstand der poppigste, würde ich jetzt einfach mal behaupten. Und ich hatte, dann irgendwie, als ich so die Songs zusammengestellt habe, immer voll das Problem den einzufügen. Er passte dann irgendwie nicht mehr so richtig rein. Und dann dachte ich mir, «wegschmeissen ist auch schade», weil er mir richtig gut gefällt. Dann habe ich irgendwo diese Skizze entdeckt, die ich einmal irgendwann nachts wirklich nur einmal aufgenommen hatte, quasi freestyle. Ich wusste gar nicht mehr, dass die überhaupt existiert. Und das hat so einen geilen Vibe, weil du überhaupt nicht so recht weisst was das genau ist. Du fragst dich dann erstmal, ob das ein Fehler ist. Ich habe auch gar nichts mehr daran geändert, das ist wirklich die einzige Aufnahme davon. Wir haben nur ein bisschen was beim Beat gemacht, aber eigentlich auch nicht mehr viel. Es ist so, wie wenn du dich vorher quasi aufwärmst. Da ist dieses Chaos und du wunderst dich, was das ist und dann kommt als zweite Nummer dieser total eingängige, poppige Song.
Es war also wirklich nur Zufall und das finde ich auch immer total schön an der Musik. Das man Musik machen kann und solche Dinge dann erst ganz am Schluss zu Ende entstehen.

 

 

«Ich kann nicht erwarten, dass jeder Mensch so denkt wie ich.»

 

 

Wie kam es dazu, dass du «Luftlöcher» als erste Single veröffentlicht hast?


 

Ein Album ist ja immer so 3-4 Monate vorher fertig, dann wird das noch gemischt und gepresst und so. Als «Neue Welt» im Sommer 2015 erschien, konnte ich gar nicht mehr auf die aktuelle Lage, also die Flüchtlingskriese Bezug nehmen. Also ich bin ja jetzt nicht der politischste Rapper. Aber doch versuche ich auf «Gerard Wegen», also so wie es halt auch zu Gerard passt, auf solche Missstände hinzuweisen. Und von daher war es mir einfach wichtig, dass ich so im Nachhinein, es ist ja traurigerweise eh immer noch aktuell, dazu auch noch ein Statement setze. Mir war es einfach wichtig, dass ich mit einer Aussage zurück komme, dass ich darauf Bezug nehme und nicht nichts sage.

 

Warum sind deine Texte nicht so politisch? Du sagst ja selber, dass du nicht so ein politischer Rapper bist. Warum nicht?

 

Weil das ist ja eigentlich doch auch ein grosser Themengebiet, was viel zu erzählen gibt.
 Das hat mehrere Gründe. Erstens, finde ich, dass es immer die Gefahr ist, dass man wie mit dem Zeigefinger zeigt, was die «Wahrheit» ist. Wen man wählen sollte, wer recht hat und wer nicht recht hat. Und das kann ich mir einfach nicht raus nehmen. Weil jeder Mensch irgendwie seine eigenen Erfahrungen im Leben macht. Und ich kann nicht erwarten, dass jeder Mensch so denkt wie ich. Dann finde ich auch, dass es sehr schwer ist sowas gut zu machen. Ich finde es sehr schwer und oft auch sehr plakativ. Und grad auch ich und meine Hörerschaft … da läuft man dann auch offene Türen ein. Würde ich dann so «Nazis raus!» oder sonst was singe, dann ist das sowieso logisch, dass keiner meiner Fans sich «Ja hey, er hat recht!» denkt.
 Vor allem ist es auch so, dass mein Anspruch ist, zeitlose Musik zu machen. Also das man die Musik auch noch in 5, 10 oder 20 Jahren hören kann. Und wenn ich dann zu spezifisch auf Dinge eingehe, dann weiss man immer aus welchem Jahr das ist. Also wenn ich jetzt konkret irgendwie über den Krieg jetzt, über Syrien singen würde, dann würde man sich in 10 Jahren denken «Ah, okay. Syrien-Krieg damals, vor 10 Jahren. Ist jetzt nicht mehr aktuell». Aber wenn man es allgemeiner hält, dann passt es irgendwie immer.
 Ein Regisseur hat mir das mal ganz gut erklärt. Er meinte, er verwendet nie Handys in seinen Filmen, weil am Handy erkennt man immer wie alt der Film ist.


Ein schöner und interessanter Gedanke.
 Das hat mir sehr zu denken gegeben. Dann dachte ich so: das stimmt eigentlich. Und genau das selbe mache ich sozusagen metaphermässig bei meiner Musik. Ich habe mich immer bemüht, nichts zu aktuelles einzubauen, weil man eben immer sofort weiss, wie alt der Song ist. Ich will halt wirklich eher was zeitloses machen.

 

Deine Line «Ich merk wie ich von Jahr zu Jahr mehr ich werd» ist mir schon beim ersten mal hören direkt im Kopf geblieben. Und ich frag mich, ob du damit sagen willst, dass du dich mit deinen älteren Sachen nicht mehr identifizieren kannst?

 

Nein, das ist eher darauf bezogen, dass ich immer selbstbewusster werd indem was ich mache. Das ich mir nicht mehr soviel reinreden lasse. Oder nicht mehr soviel Angst habe vor allem. Ich bin jetzt grad dabei, mein Potential mehr auszuschöpfen als vor ein paar Jahren. Mittlerweile mache ich auch einfach. Ich denk gar nicht mehr soviel darüber nach, wie etwas wird oder ob es schief gehen könnte. 
Woody Allen hat da auch mal was Schönes gesagt, er meinte: «90% of success is just showing up.» Und es ist halt wirklich so. Auch so in meinem Umfeld. Da gibt’s Leute die mir seit einem halben Jahr immer wieder von ihrer Idee erzählen und ich denk mir nur so: «Ey, in dem halben Jahr wo du jetzt immer davon gelabert hast, hättest du da vielleicht schon was auf die Beine stellen können.» Und dann gibt es eben auch noch die andere Fraktion, die einfach macht. 
Und das versuch ich halt auch wirklich so den Futuresfuture-Künstlern mit auf den Weg zu geben. In einer Zeit, in der alles so schnelllebig ist, da gibt es keine Garantien für irgendwas. Ich finde es total doof, wenn du in so einer Zeit nichts riskierst. Morgen könnte schon alles wieder ganz anders aussehen. Und was heute noch so weird oder risikoreich wirkt, kann in einem halben Jahr oder so, völlig normal sein. Dann bist schlussendlich du der erfolgreichste, weil du der erste warst. 
Also die Zeile ist daher eher mehr darauf bezogen, dass ich jetzt von Jahr zu Jahr mein Potential mehr ausschöpfe. Und mir auch nicht mehr von so vielen Zweifeln vermasseln lasse.

 

Gerard - «Moonbotica Mond»

 

* Das Album «AAA» von Gerard ist im Handel erhältlich oder online (bsp: iTunes) zu finden.

 

* Gerard wird am 14. Dezember im Exil in Zürich spielen (Tickets). Bäckstage ist Medienpartner und wird zu einem späteren Zeitpunkt Tickets verlosen. 

 

 

Pascale Stöckli / Fr, 23. Jun 2017