Nicky Jam mit Charme und Publikumsnähe

Konzertkritik: Nicky Jam in der Samsung Hall
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Promobild / zVg

«Como te llamas?», fragte Nicky Jam nach etwa 70 Minuten in die vordere Reihe des Publikums und reichte das Mikrofon über den Bühnengraben. Saskia, Sarah und Caroline hiessen die Glücklichen und das Mikrofon ging zurück an den tätowierten Vollblutlatino auf der Bühne. So schüttelte er in den darauffolgenden Sekunden einige improvisierte, sich auf Saskia, Sarah und Caroline reimende Zeilen auf Spanisch aus dem Ärmel und brachte ihre Herzen mit Sätzen wie «Lass mich für eine Nacht dein Papacito sein» oder «Heute bist du mein, nur du und ich» womöglich gleich zum Schmelzen.

 

Sein Konzert eröffnete der junge Mann mit den strahlend weissen Zähnen in Cap, brauner Lederjacke, schwarzem T-Shirt und schwarzer Hose. Nach drei Songs verschwand er wieder und die Wartezeit wurde durch DJs überbrückt. Die Mehrheit der Menge schien die kurze Pause nicht zu stören und wenn doch, war dies nach 20 Minuten wieder vergessen, denn dann betrat er in frischen Kleidern die Bühne erneut. Mit seinem neuen Hit «El Amante», aber auch älteren bekannten Liedern wie «El Perdón», «Travesuras» und «Hasta el Amanecer», brachte er die mehr als 5000 Personen in der Halle zum Tanzen und Mitsingen. 

 

Lichtershow, Urlaubsstimmung und verletzter Stolz

 

Etwas ruhiger wurde es nach gut einer Stunde, als sich Nicky am vorderen Bühnenrand auf einen Hocker setzte. Links neben ihm eine knapp bekleidete Frau mit Handrassel und zu seiner Rechten einer seiner Backgroundsänger. «Estrella» als auch «No te Vayas» wurden nur von einer Gitarre begleitet, was an diesem Abend einmalig blieb. Die Stücke sind von seinem aktuellen Album «Fénix» und handeln, wie die meisten seiner Texte, von der Liebe.

 

Nicky Jam singt über alles, was mit der Liebe und dem Leben in Verbindung steht. Würde man den Text weglassen, könnte man meinen, dass die Lieder hauptsächlich fröhlich sind. Dank der Rhythmen des Reggaetons stand an diesem Abend nämlich niemand mehr ruhig auf beiden Beinen. Man fühlte sich gleich wie im Urlaub. Die Klänge und auch die farbenfrohe Lichtershow zu jedem Lied stimmten einen fröhlich und verliehen einem das Gefühl von Unbeschwertheit. Hört man jedoch genauer hin und konzentriert sich auf den Text, stellt man schnell fest, dass die Lyrics hauptsächlich von Streit und Auseinandersetzungen in einer Beziehung handeln, von Frauen, Geliebten, Affären, Enttäuschungen und verletztem Stolz – eben alles, was dazu gehört. Nick Rivera Caminero, wie der Reggaeton-Sänger mit bürgerlichem Namen heisst, erzählt so seine Geschichten und berührt weltweit Herzen.

 

Minuspunkte, trotz Handküssen und Konfettiregen

 

Unbeschwert tanzten auch Nicky‘s Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne. Leider waren sie für die hinteren Reihen nur über die Grossleinwand gut zu sehen oder wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte. Ein weiterer Minuspunkt ist dem Auftritt des 36-Jährigen zuzuschreiben: etwa die Hälfte der Songs waren Remixe ab CD, bei denen er nur vereinzelt eine Zeile mitsang und sich während der übrigen Zeit einfach geschickt auf der Bühne bewegte, Konfettiregen abfeuerte, Papierschlangen fliegen liess und gekonnt mit dem Publikum spielte. Ja, das haben die Latinos eben drauf: ein Zwinkern da, ein Handkuss hier hin und die Mädels waren glücklich und kreischten durch den Saal.

 

Der Mischling von Puerto Rico und der Dominikanischen Republik machte sich nach gut 90 Minuten aus dem Staub. Keine Zugabe, dafür ein «Gracias Suiza» und weg war er – nach zwei ausverkauften Shows in Zürich. Adiós, Nicky. 

 

Nicky Jam begeistert vor allem durch seinen Charme. Der Latino weiss, was das Publikum begeistert und bringt Frauen und Männer zum Tanzen und Singen. Seine Texte berühren Herzen und zaubern Lächeln in unzählige Gesichter in den prall gefüllten Konzerthallen.

 

Rahel Inauen / Mi, 22. Mär 2017