Ein Stück (Musik)geschichte im Hallenstadion

Konzertkritik: Scorpions und Whitesnake
Bildquelle: 
www.the-scorpions.com

Wenn man als Band nach 50 Jahren auf Jubiläumstour geht, ist eine grosse Show enorm wichtig. Einerseits, um das halbe Jahrhundert gebührend zu feiern, andererseits, um eventuelle musikalische Defizite nach der jahrzehntelangen Abnutzung auszugleichen. Die Scorpions haben am Samstag im Hallenstadion gezeigt, dass sie noch beides drauf haben. 

 

Zu Beginn hat die Stimme von Klaus Meine zwar doch etwas mitgenommen gewirkt. Aber entweder wurde es nach wenigen Songs besser, oder die Scorpions haben mit ihren showtechnischen Ablenkungsmanövern tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Es schien fast, als wollten sie nachholen, was vor 50 Jahren noch nicht einmal ansatzweise möglich war. So wurde die Bühne von riesigen Bildschirmen dominiert, dank denen jeder einzelne Song visuell untermauert werden konnte. Ein langer Steg ins Publikum bot genügend Auslauf für die Musiker, und auch der extrovertierte Schlagzeuger James Kottak - der nach einigen Eskapaden und einem Entzug seit einem Jahr wieder bei den Scorpions mitmischt - hatte dank seinem grossen Podest genügen Platz, um sich zu präsentieren. Beispielsweise bei einem langen Drum-Solo, bei dem er mitsamt Schlagzeug bis fast unter die Decke gehoben wurde, auf seinem Instrument stehend fast ausrastete und stolz sein Rückentattoo «Rock & Roll Forever» zeigte. Man muss schliesslich sehen wo man bleibt, wenn plötzlich alle Mitmusiker vorne am Steg stehen und sich feiern lassen. 

 

Ja, die Scorpions haben sich gefeiert - und das Publikum machte mit. Alle Covers der stolzen 18 Studio-Alben erschienen chronologisch auf den Displays, Rudolf Schenker spielte plötzlich eine Gitarre mit Nebelwerfer, mit der er aus unerfindlichen Gründen immer wieder den bereitwillig herhaltenden Bassisten Paweł Mąciwoda einnebelte, und Klaus Meine drosch eine Phrase nach der anderen ins jubelnde Publikum. Welches sich natürlich erst recht nicht mehr halten konnte, als das wohl berühmteste Pfeifen der Musikgeschichte erklang. «Wind of Change» kam überraschend früh, aber keinesfalls unpassend. Wahrscheinlich wäre gar keine Zeit unpassen für diesen Klassiker gewesen - endlich mal ein Text, den das Schweizer Publikum beherrschte. Zumindest fast. 

 

Scorpions gut, Whitesnake grandios

 

Aber die Scorpions machen keinen Lärm um nichts. Musikalisch sind sie noch immer überraschend gut und an ihrer Setlist lässt sich nichts aussetzen. Dass bei den unzähligen Songs in ihrem Repertoire immer das eine oder andere Stück vermisst wird, lässt sich wohl kaum vermeiden, aber sie geben sich grösste Mühe. So kommen in einem Medley auch die ganz frühen Werke aus den 70ern wie «Steamrock Fever», «Speedy’s Coming» oder «Catch Your Train» nicht zu kurz, genauso wenig wie die ganz neuen Sache aus dem Jubiläums-Album «Return To Forever». Und eine Akustik-Show («Eye Of The Storm») durfte genauso wenig fehlen wie ein Song für Paris «Send Me An Angel») mitsamt Flagge. 

 

Nur eines muss man Klaus Meine showtechnisch noch erklären - wenn man eine La-Ola-Welle beginnt, sollte man sie auch zu Ende bringen, und das Publikum nicht mit hilflos ausgestreckten Armen ihrem Schicksal überlassen. 

 

Wo die Scorpions musikalisch gut waren, war ihr Special Guest grandios. Whitesnake bekamen ein Set von eineinviertel Stunden und holten alles daraus heraus. David Coverdales Stimme überraschte schon alleine mit der Tatsache, dass sie wirklich gut klang, und es ihr um Welten besser gehen muss, als es in der Vergangenheit teilweise der Fall war. Auch von ihm wurde der Steg rege genutzt. Dieser hätte seinen Zweck allerdings noch besser erfüllt, wenn das immer wieder zum Mitsingen aufgeforderte Publikum auch mitgemacht hätte. Aber die Schweizer waren entweder nicht gewillt, oder schlicht nicht textsicher genug. Stimmung kam trotzdem hoch. Denn auch Whitesnake waren nicht showfaul - ob durch Mundharmonika-Einlagen oder auch hier das nicht minder unterhaltsame Schlagzeugsolo, bei dem Tommy Aldridge seine Stöcke ins Publikum schleuderte und kurzerhand mit blossen Händen weiterspielte.

Und abschliessend muss das einfach noch gesagt werden: Noch nie habe ich in meiner Konzert-Karriere einen so genialen Live-Song wie «Mistreated» gehört.

 

Ein kurzweiliger Abend mit zwei Bands, die zusammen schon 90 Jahre auf dem Buckel haben, aber immer noch vor Energie strotzen, und sichtlich mehrere Generationen begeistern.

 

Seraina Schöpfer / Di, 01. Dez 2015