Im Wahlkampf ist sich jeder selbst der Nächste

DVD-Kritik: The Ides Of March
The Ides Of March
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Im Verleih von ASCOT ELITE

Stephen Myers, der Kampagnenleiter des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Mike Morris, tritt ans Mikro. Die Scheinwerfer auf ihn gerichtet, schaut er starr ins Leere. Der Saal ist unbesetzt, nur Plakate und zwei Podeste zeugen von der bevorstehenden Wahlkampfveranstaltung in Ohio. Spannung liegt in der Luft, Stephens Augen lassen Nervosität erahnen. Trocken schwört Stephen Treue gegenüber der Verfassung der Vereinigten Staaten. Noch ist seine Welt in Ordnung. Doch bald wird seine Treue auf eine harte Probe gestellt und er erkennt, wer in der Politik mit welchen Mitteln spielt. Bald merkt er, wie knallhart das Business ist und dass jeder nur sich selbst der Nächste ist. Die alten Politfüchse spielen skrupellos mit ihm und stellen ihm eine teuflische Falle. Doch Stephen hat bereits viel gelernt.

 

Ob Stephen Meyers (Bild 1) wegen des Treffens mit dem gegnerischen Wahlkampfleiter (Bild 2) etwas desillusioniert schaut? (Mit Maus über Bild fahren)

 

Der Titel geht auf die Iden des März zurück und somit auf Cäsar. Denn der soll vor seiner Ermordung gewarnt worden sein, nämlich genau vor den Iden des März – Festtage im römischen Kalender, die auf die Mitte des Märzes fallen. Die Metapher wird oft als Hinweis auf drohende Gefahr verwendet und bei George Clooneys Film ist der Titel perfekt gewählt. Unheil droht nämlich von allen Seiten. Besonders hart trifft es den erfolgreichen und ehrgeizigen, aber auch etwas naiven Stephen (Ryan Gosling, «Drive»). Er wird zum Spielball der Wahlkampfleiter beider Seiten. Sowohl sein Chef Paul Zara (Philip Seymour Hoffman, Oscar für «Capote“) als auch der Wahlkampfleiter der Republikaner, Tom Duffy (Paul Giamatti, «Sideways»), nutzen ihn für ihre Zwecke. Die opportunistische Journalistin Ida Horowicz (Marisa Tomei, Oscar für «Mein Vetter Vinnie») übernimmt nur zu gerne die Aufgabe des Sprachrohrs. Ihr geht es dabei nur um die Story, Freundschaft kennt sie nur als Mittel zum Zweck. Einzig die Affäre von Stephen, die blutjunge Praktikantin Molly (Evan Rachel Wood, spielt die Vampirkönigin bei «True Blood»), scheint ehrlich zu sein. Doch auch sie hat ein Geheimnis, das Köpfe rollen lassen könnte.

 

Pointierte Interpretation der Wirklichkeit

 

Clooney liegt mit seinem Film direkt am Puls der Aktualität und hält der amerikanischen Politik einen Spiegel vor. Im November dieses Jahres finden erneut Präsidentschaftswahlen statt und es braucht nicht so viel Fantasie, um zu glauben, dass Clooney mit seiner messerscharf pointierten Interpretation nahe an der Wirklichkeit liegt. Da wird mit Dreck auf die Gegner geschmissen, Negativmeldungen an die Presse gegeben und intrigiert, was das Zeug hält. Kürzlich war in der Presse zu lesen, dass die Amerikaner laut einer Studie nur wegen dieser Schlammschlachten so fleissig wählen würden. Das Drehbuch basiert auf dem Theaterstück «Farragut North» von Beau Willimon. George Clooney hat es gemeinsam mit Grant Heslov und Beau Willimon adaptiert. Das Trio wurde dafür mit einer Oscarnomination belohnt. Sicherlich verdient, denn der Film ist attraktiv erzählt. Man bekommt als Zuschauer viele Fakten serviert, aber in einem Tempo, das es erlaubt, die Bilder und die Darsteller zu geniessen. 

 

Ob bei Praktikantin Molly (Bild 1) oder Stephen (Bild 2), Mike Morris (Clooney) ist immer präsent.

 

Gerade die Riege der Darsteller ist schlicht ausgezeichnet. Von Clooney als scheimig-charmanter Kandidat über die Schwergewichte Philip Seymour Hoffmann und Paul Giamatti bis zu Evan Rachel Wood, die die unerfahrene, aber selbstsicher auftretende Praktikantin glaubhaft spielt. Im Fokus des Films ist aber Ryan Gosling. Einmal mehr liefert der in Kanada geborene Schauspieler eine Glanzleistung. Es kann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Ryan zu den ganz grossen Schauspielern unserer Zeit gehört. Die Entwicklung des Films spiegelt sich mehrfach nur in seiner Mimik. Sei es in der schieren Ohnmacht, wenn er das Spiel durchschaut oder wenn er seiner Affäre mit Dackelblick zu erklären versucht, dass niemand davon erfahren darf. Sehr wichtig für den Film ist die Regie. Hier spürt man einerseits die lange filmische Erfahrung von Clooney, aber auch seine politische Einstellung deutlich. Dass Clooney gute Filme machen kann, hat er mehrfach unter Beweis gestellt. So konsequent, wie er Filme dreht, so treu ist er seinen politischen Überzeugungen. Kürzlich wurde Clooney gar auf einer Demo verhaftet. In «The Ides Of March» sind die politischen Themen zwar nicht im Fokus und doch werden soziale Probleme und Krieg als Wahlkampfthemen wenigstens angeschnitten. Clooney wäre nicht Clooney, wenn er eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen würde.

 

«The Ides Of March» ist ein kurzweiliger Thriller und spannender Einblick in den Alltag des amerikanischen Wahlkampfs. Darüber hinaus inszeniert Clooney aber ein Spiel voller Lügen und Misstrauen. Geschickt zeigt er das wahre Denken seiner Figuren und legt seinem Gouverneur Sätze wie «Anstand ist wichtig, Würde ist wichtig. Unsere Zukunft hängt davon ab», in den Mund, nur um zu unterstreichen, wie abgebrüht dieses Geschäft funktioniert. Ein intelligenter Thriller, der keinen kalt lassen wird.

 

  • The Ides Of March (USA 2011)
  • Regie: George Clooney
  • Drehbuch: George Clooney, Grant Haslov und Beau Willimon
  • Darsteller: Ryan Gosling, Paul Giamatti, Phiilip Seymour Hoffman, Evan Rachel Wood, George Clooney
  • Laufzeit: 101 Minuten
  • DVD-Start: 24. Mai 2012
Patrick Holenstein / Sa, 26. Mai 2012