Sind Autoren die Champions League der Weltverfälscher?

Kritik: Züri Littéraire im Kaufleuten
Züri Littéraire
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http://www.kaufleutenliteratur.ch/zueri-litteraire

Vor lauter Schweinwelten die Realität nicht mehr sehen - darum dreht sich das «Züri Littéraire» vom 4. März. Röbi Koller und Mona Vetsch begrüssen zu dieser Diskussionsrunde zwei ganz unterschiedliche Gäste, deren Gemeinsamkeiten erst auf den zweiten Blick ersichtlich werden.

 

Manfred Lütz gibt zu Beginn klar den Ton an. Mit seiner humorvollen und forschen Art sorgt er für viele Lacher im Publikum. In seinem Buch «Bluff» durchleuchtet er Scheinwelten. Er findet: «Wir alle leben in zunehmend künstlichen Welten, die Medienwelt oder die Finanzwelt beispielsweise. Diese Welten können nützlich sein, aber nur noch in ihnen zu leben führt zum Realitätsverlust.» Laut Lütz finden die wirklich wichtigen Erfahrungen nicht in diesen künstlichen Kosmen statt. So sieht der studierte Theologe und Psychiater die Liebe und den Glauben an Gott als zwei Kernelemente des realen Lebens, die in den Schweinwelten nicht erkennbar sind.

 

Insbesondere die Welt der Wissenschaft hinterfragt Lütz in seinem Buch kritisch. Ein Biologe beispielsweise halte die Liebe bloss für hormonelle Schwankungen, dies erkläre jedoch die wahre Liebe nicht. Als Psychiater begegnet der Autor vielen Menschen, die eine andere Wahrnehmung der Realität haben. Schizophrene Patienten glaubten oft felsenfest an die Existenz ihrer eigenen Welt. Wenn ihm der Patient humorvoll erscheine, sage Lütz jeweils: «Wir leben in unterschiedlichen Welten, aber ich habe die Mehrheit.»

 

Klara Obermüller hört Manfred Lütz aufmerksam zu und hinterfragt seine Theorien kritisch. Man merkt ihr die langjährige Erfahrung als Journalistin für Zeitungen wie die «NZZ» oder die «FAZ» schnell an. So meint sie zu seiner These, dass die meisten Menschen in Schweinwelten leben würden: «Es gibt viele Menschen, die sich dieser Scheinwelten bewusst sind. Manchmal habe ich das Gefühl, sie unterschätzen ihre Leser, Herr Lütz.»

 

Auch Klara Obermüller hat sich mit verschiedenen Welten auseinandergesetzt. In den Kosmos der Psychiatrie ist die Journalistin beim Verfassen einer Reportage eingetaucht. «Nach einer Weile war ich mir nicht mehr sicher, was eigentlich normal ist. Das war anstrengend», betont sie. In ihrem Buch «Schwarz auf Weiss» finden sich Reportagen zu den unterschiedlichsten Themen, die Klara Obermüller während ihrer Tätigkeit als Journalistin verfasst hat. Einige davon sind sehr persönlich. So hat sie über ihr Leben als Adoptivkind geschrieben. «Nicht genau zu wissen, woher ich komme, begleitet mich schon mein ganzes Leben», sagt sie nachdenklich.

 

«Sind Autoren nicht die Champions League der Weltverfälscher?», fragt Mona Vetsch und deutet so an, dass Geschichten meist nicht die Realität abbilden. «Literatur ist eine kunstvolle Welt, keine künstliche Welt», stellt Manfred Lütz fest. Klara Obermüller pflichtet ihm bei. Die Germanistin hat schon immer gerne gelesen. «Als Literaturkritikerin musste ich teilweise auch Bücher lesen, die ich sonst nicht gelesen hätte. Heute kann ich sie mir wieder aussuchen», sagt sie. «Das ist einer der Vorteile, wenn man ein gewisses Alter hat und nicht mehr jeden Auftrag annehmen muss», meint Obermüller schmunzelnd. In eine kunstvolle statt in eine künstliche Welt abtauchen, da sind sich die beiden Autoren einig, kann den Blick auf die Realität schärfen.

 

Nach der Veranstaltung traf Bäckstage die Moderatorin Mona Vetsch zum Interview. Dort erzählte Mona, nach welchen Kriterien sie und Röbi Koller ihre Gäste jeweils aussuchen und verriet das «Rezept» dieser Veranstaltung.

Regina Schneeberger / Mo, 11. Mär 2013