Slash und der gottverlassene Ort

Kritik: Slash feat. Miles Kennedy und SMKC
Bildquelle: 
Coverfoto, zVg

Die sechs Saiten der Les Paul in Slashs Händen zerfetzen die Ruhe vor dem Sturm zuerst. Sorgfältig und nach allen Regeln der Kunst. Dahinter pumpt zielstrebig ein Bass, das Schlagzeug füllt elegant offene Flächen und wenig später setzt die so warme wie raue Stimme von Miles Kennedy ein. «The River Is Rising» macht eindrücklich klar: Slash & Co. sind zurück. Das neue Album von Slash featuring Myles Kennedy and The Conspirators (kurz: SMKC) heisst schlicht «4». Der Titel darf ruhig als Symbol verstanden werden, denn musikalisch ist die Platte genau so schnörkellos und im Zentrum steht die klare Rockmusik, ohne unnötige Ablenkungen oder Spielereien, dafür mit Herz und Seele.

 

Beim ersten Hören trotzdem fällt auf, dass manche Aspekte der Platte durchaus verspielt sind. Beispielsweise ist das Intro zum zweiten Song «Whatever Gets You By» gnadenlos reduziert. Die Drums eröffnen einsam durch ein kurzes Solo, um dann mit einem kurzen Klang, ähnlich dem eines Triangels, den Song zu lancieren. Dieser steigert sich dank der Gesangsmelodie je länger je mehr zum Ohrwurm und dürfte wohl auch live seine Kraft entfalten.

 

Das Credo der Band war schon immer der Kampf gegen den Stillstand. Es gilt, immer einen Schritt nach vorne zu gehen. Wie gut das funktioniert, hört man praktisch überall auf dem Album. Ein Geheimnis, weshalb die Platte authentisch klingt, verrät Slash gleich selbst. Es sei schlicht der Sound von fünf Musikern und Bandkollegen, die sich zuhören und im Zeichen des «Live Spirit» gemeinsam Musik machen. Dieser «Live Spirit» ist nicht unbedeutend. Slash meint dazu: «Das ist wirklich der Hauptunterschied bei dieser Platte – wir haben sie mehr oder weniger live eingespielt, inklusive aller Fehler. Es ist der Sound von uns fünf, wie wir in einem Raum zusammen jammen.»

 

Wattestäbchen vor dem Studio

 

Klingt irgendwie romantisch. So einfach war es dann doch nicht. Die Aufnahmen sollten in Nashville beim grammyprämierten Dave Cobb (Shooter Jennings, Rival Sons) stattfinden. Die Reise an die pulsierende Lebensader der Countrymusik stellte sich als ziemlich kompliziert heraus und war eigentlich so gar nicht Rock ‘n’ Roll. Einiges an Vorausplanung war unbedingt nötig. Die Reise per Tourbus schien am sichersten, um dem Virus aus dem Weg zu gehen. Also traf sich die Band in Las Vegas. Ohne Test durfte niemand in den Bus. In Nashville angekommen, wurden die Wattestäbchen erneut gezückt und bevor jemand einen Fuss ins Studio setzte, war ein erneuter Test zwingend. «Wir hatten ein wasserdichtes Protokoll ausgearbeitet», erzählt Miles Kennedy.

 

Die Aufnahmen nahmen schnell Fahrt auf. Zwei Songs hätten sie laut Slash am Tag aufgenommen und alles Material auch behalten. Produzent Cobb liess die Jungs einfach machen. Innert einer Woche waren 90% der Platte im Kasten. Dann wurde Miles Kennedy positiv auf Covid-19 getestet. Die Band hatte sich für die Aufnahmen in einem Airbnb in Nashville eingemietet und musste grösstenteils in Quarantäne. Also hat Kennedy die Vocals in seinem Zimmer auf dem Laptop eingesungen und Bassist Todd Kerns steuerte die Backing Vocals bei. Danach flirrten die Daten via Internet ins Studio, wo Slash noch an den Gitarrenaufnahmen arbeitete.

 

Slash featuring Miles Kennedy & The Conspirators - «The River Is Rising»

 

Doch auch ihn erwischte das Virus. Einzig Rhythmusgitarrist Frank Sidoris blieb verschont. «Also habe ich ihn nach Hause geschickt», sagt Slash und lacht dann. «Ich sagte: „Du hast sowieso nichts mehr zu tun, also verschwinde von hier. Bleib weg von diesem gottverlassenen Ort!“» Diese Erfahrung habe sie zusammengeschweisst, ist sich die Band einig. Beim Hören ist leicht zu spüren, was die Musiker damit meinen. Der beschworene Spirit schwebt tatsächlich oft wie eine sanft schimmernde Aura neben den Akkorden und die Platte wirkt harmonisch, weil die Band sich scheinbar optimal versteht. Wer aber Einflüsse der schwierigen Aufnahmen konkret erkennen möchte, kann laut Miles Kennedy bei «The River Is Rising» gezielt auf seinen Gesang hören und erkennen, wie krank er da schon war.

 

«4» unterstreicht die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kennedy (Ex-Sänger bei Alter Bridge) und Slash. Vor zehn Jahren haben sie das erste Album veröffentlicht und sind seither gut hörbar ein eingeschworenes Team. Auf Platte und insbesondere auch live. Trotzdem war die Arbeit am neuen Album nicht immer einfach – schliesslich hatte eine Pandemie die Welt im Griff. Was dabei herausgekommen ist, führt die Entwicklung im Songwriting und dem Verständnis als Band konsequent weiter.

 

Klangfäden am Himmel

 

Etwa in «C’est la vie», wo sich Kennedys Stimme und die Gitarren regelrecht umwerben oder in der rohen Klarheit von «April Fool» und dem von Country gestreiften «Action Speak Louder Than Words». «The Path Less Followed» wirkt bewusst entspannt, trotz der verzerrten Gitarren, und «Call Off The Dogs» ist das pure Gegenteil. Rockig, laut und wild. Diese beiden Songs zeigen die Gegensätze in den Songs schön auf und genau diese Ambivalenz zeichnet die Platte und die Band aus. Und wenn bei «Spirit Love» eine Sitar in den Song einführt, unterstreicht das die Gedanken, die sich SMKC für die Songs gemacht haben.

 

Bei «Fall Back To Earth» darf sich Slash zum Abschluss so richtig austoben. Die Ballade wird von einem repetitiven Gitarrenpart als roten Faden getragen, gleichzeitig umweht sie ein Hauch der 90er und schliesst ein intensives, stilistisch variantenreiches Album epochal ab. Wenn Slash mit der Gitarre feine Klangfäden in den Himmel schiesst, ist das imaginäre Feuerwerk vor dem inneren Auge regelrecht zu sehen und manche könnten das ikonische Bild aus dem Guns ‘n’ Roses-Video zu «November Rain» im Kopf haben, als Slash alleine vor die Kirche tritt und mit der Gitarre in die Prärie heult. So ähnlich stellt man sich Slash in Nashville vor und mit dieser Assoziation referenziert Slash – gewollt oder nicht - mit einem Augenzwinkern seine Stammband und zeigt gleichzeitig, wie stabil er als Künstler in den eigenen Schuhen steht.

 

«4» wirkt wie aus einem Guss, nutzt geschickte Dramaturgien und ein breites Spektrum an Klängen. Aus jedem Akkord, jeder gesungenen Phrase scheint die Freude zu sprühen, dass es dieses Material auf Platte gibt. So gelingt ein Album für Menschen, die Spass an knackigen, relativ schnörkellosen Rocksongs voller Gitarren haben. Genau dafür kennt man doch Slash und inzwischen auch SMKC.

 

  • Band: Slash featuring Miles Kennedy & The Conspirators (SMKC)
  • Gerne: Rock, Hardrock
  • Aktuelles Album: «4»
  • Infos: Website von SMKC

 

Bäckstage Redaktion / So, 13. Feb 2022