Other Lives entfalten ihr volles Können

CD-Kritik: Other Lives - For Their Love

 

«Sound Of Violence» eröffnet das Album mit einem leicht schlingernden Rhythmus, der die Ohren spitz macht. Davon will man mehr. Der Song pendelt irgendwo zwischen dem folkigen Gesang von Bill Callahan, den dunkel-bluesigen Welten von Tom Waits und kurzen, schmachtend-melancholischen Momenten wie sie auf Feists brillanter «Metals»-Platte praktisch überall zu finden sind. Schnell wird klar, hier ist der Stil gewollt und darum ganz bewusst entschleunigt, lässt der Musik so alle Zeit der Welt, um sich auszubreiten und die volle Wirkung zu entfalten. Ein hervorragender Einstieg in eine vielschichtige und klanglich dichte Platte. Aber so ein Einstieg schraubt die Erwartungen immer massiv in die Höhe. Kann die Indie-Band, die ursprünglich aus dem in Oklahoma gelegenen Stillwater stammt, diesen Standard über die gesamte Platte halten? So viel vorneweg: sie will gar nicht.

 

Viel lieber tastet sich die Band, die immer noch als Geheimtipp gehandelt wird, bei jedem Song neu an das Skelett, an die Essenz heran, entwickelt Sound und Melodie mit manchmal ohnmächtig viel Geduld und wenn die Platte mit «Sideways» endet, erkennt man, dass die Band ein sackstarkes und bleibendes, weil cleveres Stück Indie-Geschichte geschaffen hat. Ohne selbst erlegten Druck durch den Opener und ohne schlechte Kompromisse. So scheint es jedenfalls. Vom kleinen Pfiff im Laufe der Platte über die breiten Backing Vocals und den oft mehrstimmigen Gesang bis zu den ganz leisen Momenten beim Titelsong.

 

Other Lives - «Lost Days»

 

Frontman Jesse Tabish zog für das Album von Portland nach Oregon in die Gegend der Cooper Mountain. Nachbarn gibt es dort soweit das Auge reicht keine, Ablenkung sowieso nicht, dafür Berge und reine Natur. So fand der Frontmann zusammen mit Ehefrau Kim zu dem Sound, den er eigentlich machen möchte. «Ich habe vergessen, wie es ist eine Gitarre in die Hand zu nehmen und einen Song zu spielen, also körperlicher und ursprünglicher bei der Musik zu sein», sagt Tabish über diese Erfahrung. Auf «For Their Love» habe die Band es geschafft, wie eine Band mit einer klaren Definition der Parts zu spielen. Das manifestiert sich tatsächlich klar hörbar im vielseitigen Sound. Von mexikanischen Anleihen bei «Hey Hey» bis zum generell sehr cineastischen Sound, der schon mal mit Streichern und breiten Arrangements auffährt. Dabei vergisst das Trio, das sich für das Album zum Quintett erweiterte, die kleinen Elemente nicht. Denn wie die Natur in den Bergen Oregon viel Verborgenes zu entdecken hat, glitzert auch auf «For Their Love» immer mal wieder etwas Kleines auf, das neugierig macht und beim vorherigen Hören noch nicht vorhanden schien.

 

Other Lives klingen stilsicher, geerdet und es macht den Eindruck, als wäre die Band musikalisch gerade auf ihrem kreativen Nimbus gelandet. Ohne Missverständnisse auszulösen, Other Lives waren immer ein kleiner Geheimtipp, aber das aktuelle Album wirkt nochmals runder, ohne Kanten zu verlieren, eleganter, ohne Abstriche zu machen und allgemein frischer, denn «For Their Love» funktioniert vom ersten bis zum letzten Ton, weil die Band sich traut, sich neu zu erfinden ohne ihre Wurzeln aus den Augen zu verlieren.

 

Other Lives haben sich mit «For Their Love» klanglich neu erfunden. Damit gelingt ihnen das bisher beste Album ihrer Karriere.

 

Bäckstage Redaktion / So, 21. Jun 2020