Bedeutungsvolle Musik aus Thun? Das Debüt von Stay Illusion

CD-Kritik: Stay Illusion mit Our Voices Heard
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Coverfoto / ©Stay Illusion

«Wir haben diese EP grundsätzlich mit einem Ziel geschrieben und produziert: Bedeutungsvolle Musik zu schaffen, die hilft, Veränderungen zu inspirieren», schreibt die Band Stay Illusion auf ihrer Website. Das ist ein starker Anspruch, erst recht für ein Debüt. Wie bedeutend Musik ist, zeigt sich nicht selten erst mit einiger Zeit Abstand. Wie klingt «Our Voices Heard»

 

Schon beim Opener «Speak» fällt der Gesang auf. Sängerin Grace Willis trägt den Song mühelos, lässt sich dabei förmlich vom Sound der Kollegen treiben, zeigt aber selbst in intimen Momenten mit kaum instrumentaler Unterstützung keinerlei Schwäche. Ihre Stimme ist glasklar, besitzt jedoch genügend Charisma, um interessant zu bleiben. «Please save me from myself. From my Demons. Please let me go», sind gehaltvolle Zeilen. So macht der erste Song deutlich klar, welchen Anspruch Stay Illusion aus Thun an ihre Musik stellen. Kaugummipopwelten sucht man hier vergebens, dafür zielstrebiges Songwriting.

 

Debüt mit Konzept

 

Das Album ist als Konzept so angesetzt, dass ein jeweils bedeutungsschwangeres Intro bzw. Outro die Eckpfeiler markieret. Das erinnert sanft an Pink Floyds Klassiker «Dark Side Of The Moon», was durchaus an der Ähnlichkeit der ersten Songs - «Speak» vs. «Speak To Me» im Fall von Pink Floyd – liegen könnte. Der Sound von Stay Illusion ist stilistisch allerdings nicht unmittelbar an Pink Floyd angelehnt, sondern eher offen. Gelegentlich klingt die Band wütend oder frustriert, erlaubt Melancholie und hin und wieder helle Momente. So entsteht ein kraftvolles Werk. «The Storm» ist ein gutes Beispiel dafür und wird seinem Namen durchaus gerecht. Ruhig empfängt der Song mit zurückhaltender Instrumentalisierung und dem weichen Gesang von Grace. Langsam lassen Stay Illusion den Sturm stärker werden, steigern die Elektrizität, bis sich die Naturgewalt symbolisch in krachenden Riffs von Yvo Brönnimann an der Gitarre sowie Joel Fahrni am Bass und dem wuchtigen Schlagzeug von Sandro Portner entlädt. Bemerkenswert ist dabei, dass der Gesang relativ entspannt bleibt und so das Gewitter zu kontrastieren scheint. So schwingt der Eindruck mit, dass sich das Quartett sehr viele Gedanken zu seinen Songs gemacht hat.

 

Stay Illusion - «Liberty»

 

 

«What if we are too late? What if we cannot repair the damage? Is this the curse of being young?» Stay Illusion stellen sich und der Welt immer wieder unbequeme Fragen. Diese bindet das Quartett in herrlich süffige Rocksongs mit einem Hauch Pop, aber eben auch dem dunklen Touch der Realität. Das funktioniert äusserst gut. Etwa im Song «Liberty», bei dem die helle Stimme von Grace oft nur als Tüpfelchen auf dem I dient, weil im Song die Dynamik der Musik, die Gitarrenriffs oder die ruhigen Momente im Arrangement den prägenden Faktor bilden. Dafür darf Grace Willis, die erst vor etwa zehn Jahren aus England in die Schweiz gezogen ist, direkt danach im Song «Guilt» ihre beachtliche Bandbreite zeigen. Hier legen die Kollegen an den Instrumenten «nur» elegant einen Teppich für die Sängerin. Diese zwei Songs zeigen aber wie symbiotisch Stay Illusion als Band funktionieren. Niemand drängt sich in den Vordergrund und vielleicht ist es diese Harmonie, die benötigt wird, wenn man Musik mit Substanz machen möchten. Streitigkeiten halten da wohl nur vom Ziel ab.

 

Fettes «Ja!»

 

Was man zum Debüt von Stay Illusion mit Sicherheit schon jetzt sagen kann: Die EP hat einen klaren roten Faden, ist eine Art Konzeptalbum und vereint eine Handvoll Songs, die durchaus das Zeug haben, in der Zukunft als bedeutend angesehen zu werden. Dafür ist der Ansatz, dem Zeitgeist einen Spiegel vorzuhalten, den Finger gnadenlos in die brennende Wunde zu drücken und Themen wie Klimawandel bzw. -schutz oder den gesellschaftlichen Erfolgsdruck zu thematisieren, mutig und konsequent genug. Stay Illusion gehen aber sogar noch einen Schritt weiter und behandeln das immer noch oft tabuisierte Thema Depression. Man kann es sich als junge Band thematisch wahrlich einfacher machen. Alleine dafür gebührt Stay Illusion Respekt. Diese Einstellung zur eigenen Musik schliesst den Kreis zur eingangs gestellten Frage nach der Bedeutung der Musik von Stay Illusion und unterstreicht diese mit einem fetten «Ja!».

 

Der Band war zudem wichtig, die EP lokal zu produzieren. So hat die Band aus Thun die Songs bei Honest Arts Productions in Steffisburg aufgenommen und bei Linus Mathys in Biel gemischt. Das Cover wurde vom Künstler Dominic Beyeler in Thun gestaltet und Merchandise quasi um die Ecke im Atelier Margrit produziert. Für Videos wurden als Locations ein AirBnB in Hilterfingen und eine Lagerhalle in Riggisberg gewählt. 

 

Mit «Our Voices Heard» ist Stay Illusion nicht nur ein äusserst bemerkenswertes Debüt gelungen, sondern auch ein Stück Musik, das sich mutigen Themen widmet. Ihre Stimmen werden hoffentlich gehört.

 

 

Bäckstage Redaktion / Mi, 03. Mär 2021