Stereo Luchs: Die letzte Phase ist oft eine Durchhalteübung

Interview mit Stereo Luchs
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Pressebild / ©Goran Basic

Der Zürcher Stereo Luchs ist mit dem dritten Album, das seinen Namen als Titel trägt, auf der Bühne zurück. Die Plattentaufe sei echt schön gewesen, verrät der Dancehall/Reggae-Musiker im Gespräch. Zudem war die Arbeit am Album ein Thema, sein Anspruch an Texte und Musik, die Duette mit Soukey und Phenomden und ein «kleiner Kapitän» als Gedankenspiel.

 

Ich habe dir beim letzten Interview schon die gleiche Frage als Einstieg gestellt: Wie fühlst du dich, jetzt da das neue Album im Handel ist?

 

Auch jetzt wieder, sehr gut. Ich weiss gar nicht mehr, wie ich mich beim letzten Interview gefühlt habe, da es schon länger her ist. Das war beim ersten Album, oder?

 

Genau, bei «Stepp usem Reservat».

 

Ich fühle mich gut. Es ist immer schön, wenn ein Album als Projekt abgeschlossen ist. Die letzte Phase ist oft eine Durchhalteübung mit Mischen, Mastern und Fine Tuning. Das kann schon zäh werden, weil man die Songs schon oft gehört hat und nicht mehr alle Aspekte ganz so klar beurteilen kann. Wenn aber das Album raus ist, fühlt sich das befreiend an, weil es dann der Welt gehört und nicht mehr einem selbst.

 

Wie hat sich deine Arbeitsweise als Musik, als Texter und als Künstler seit dem Debüt «Stepp usem Reservat» verändert?

 

Ein Teil ist relativ ähnlich geblieben. Ich mache noch immer sehr viel selbst, also Demos, Beats, Skizzen oder das Schreiben mache ich zum Grossteil alles selbst. Danach wird ein Song mit anderen Leuten in unterschiedlichen Besetzungen fertiggestellt. Dieser Ablauf hat sich kaum verändert. Als Texter habe ich versucht, mich weiterzuentwickeln, mich nicht zu wiederholen, zumindest nicht zu stark. Und Themen anzuschneiden, die meinem jeweiligen Alter entsprechen und nicht auf einem Film hängen zu bleiben, der irgendwann zu einem Endlos-Loop wird. Ich will mich ernsthaft mit Themen auseinandersetzten, die mich beschäftigen, und ehrlich sein.

 

«Lieb sie glich» passt da gut. Der Song ist eine durchaus kritische Sicht auf die Welt, aber mit einer optimistischen Seite. Das Zitat «Schöni neui Welt, so halbe Orwell und halbe Huxley» bringt die Ambivalenz der Welt ziemlich genau auf den Punkt. Wie wichtig ist es dir, auch kritische Aspekte in die Text zu bringen?

 

Es ist nicht so, dass ich es per se darauf anlege, aber es gibt immer wieder Momente, in denen ich Sachen verarbeite, die mich beschäftigen. Und die Welt ist seit ein paar Jahren, Stichwort: Trump oder die postfaktische Zeit, ein Madhouse und manchmal ist es da schwierig, einfach guter Dinge zu bleiben und nicht zu denken «Boah, wozu das alles?». Vielleicht geht es darum, die Referenzen entsprechend zu setzen. Ich mache recht gerne Musik, zu der man gut tanzen kann, bei der man aber auch sehr genau hinhören kann und dann checkt, welche Referenzen gemeint sind. Man kann so tief eintauchen, wie man will.

 

 

Ich mag solche Verortungen sehr, weil es oft schön klingende Namen sind, die man auch gerne ausspricht und die durch wenige Worte nochmals eine zusätzliche Welt transportieren.

 

 

Der Song zeigt zudem schön, dass du mit einem Augenzwinkern und einem Schuss Ironie an die Texte gehst.

 

Das trifft es schon. Ich bin nicht gerne zeigefingerig und predige, wie die Dinge richtig wären, oft weiss ich gar nicht, was richtig ist. Es bleibt ja am Schluss gar nicht viel mehr übrig, als die Dinge mit einem Schuss Humor oder Ironie zu sehen. Das Leben kannst du entweder als etwas Megatragisches oder etwas Megaschönes sehen und das liegt oft dicht beieinander. Diesen Gedanken versuche ich regelmässig in einen Song zu bringen.

 

Du arbeitest gerne kleine Referenzen an die Pop-Kultur bzw. Kultur im Allgemeinen in deine Songs ein. Etwa das Purple Haze im Song «Supersimple» oder die bereits erwähnten Orwell und Huxley in «Lieb sie glich». Wie leicht flechtest du solche Easter Eggs in deine Texte ein?

 

Ich interessiere mich für viele kulturelle Sachen, daher kommt das aus einer Art Fantum heraus. Ich finde, es hilft zudem dabei zu verstehen, was mich interessiert, wie ich ticke und wo ich hinhöre. So kann ich mit wenigen Sätzen viel ausdrücken, indem eine gezielte Referenz einen neuen Film ablaufen lässt. Ich mag solche Verortungen sehr, weil es oft schön klingende Namen sind, die man auch gerne ausspricht und die durch wenige Worte nochmals eine zusätzliche Welt transportieren. Aber ich streiche auch viele Passagen wieder raus. (lacht)

 

«Blue Notes» ist ein spannender Song, weil im Text von deiner (musikalischen) Geschichte die Rede ist. Andererseits ist «Blue Notes» ein fachlicher Begriff und wird oft mit Jazz, Blues und Soul verbunden. Ist der Titel auch gewählt, weil du musikalisch hörbar vielseitiger geworden bist?

 

Ich denke, den Titel habe ich nicht zwingend gewählt, um auf mich zu beziehen. Eher habe ich versucht, einen Begriff zu finden, der die Roots und Kultur dieser Musik, die zu einem riesigen Teil in der Black Music liegt, wenn man so als Überbegriff will, also diese moderne Popmusik, in der wir und aktuell befinden, auf den Punkt bringt. Blue Notes ticken ja, soviel ich weiss, in der Tonalität einer afroamerikanischen Tradition und sind ein Überbegriff, der ziemlich klar macht, worum es geht, ohne dass ich den Song zu jazzy machen wollte. Ich fand das Bild schön, weil jeder recht schnell verordnen kann, auf welcher Ebene das gemeint ist.

 

Stereo Luchs - «Geng (feat. Soukey)»

 

 

«Geng» mit Soukey fällt ziemlich schnell auf, weil er eine herrliche Energie hat. Eure Stimmen ergänzen sich ideal und die Dialekte verbinden sich ebenfalls harmonisch. Wie entstehen solche Featurings? Hast du einen fertigen Song und denkst, dass beispielweise Soukey dazu passen würde und fragst sie an? Oder schreibst du Songs gezielt als Duett mit einer bestimmten Person?

 

In diesem Fall war es ein Interesse an ihr als Künstlerin, als ich sie noch nicht kannte. Ich stöbere immer wieder, um zu sehen, was sich so tut. Natürlich in der Hoffnung, neue Leute zu entdecken. Was sie macht, fand ich fresh. Ich hatte einen Song, den wir schon zweimal umgebaut haben und der bereits eine Hookline hatte. Ich wollte einen klassischen Dancehall Representer-Track auf dem Album, da ich finde, dass es irgendwie zur musikalischen Kultur gehört, in der ich mich befinde, ein-, zweimal etwas die Ellenbögen auszufahren. Aber in den Versen habe ich schon genug gesagt und wollte nicht auch noch in der Hookline präsent sein. Auch von der Perspektive her. Es schien interessanter, wenn jemand anders diesen Part singt. Also kein Mann, nicht im gleichen Alter, nicht mit dem gleichen Dialekt. So sind möglichst viele verschiedene Angles gleichzeitig abgedeckt und bei ihr passt das perfekt. Sie ist eine junge Frau, die völlig an einem anderen Punkt im Leben steht und ihre eigene neue Stimme ins Game bringt. Es hat extrem gut gepasst.

 

Eine weitere Zusammenarbeit ist «Ide Strass» mit Phenomden. Er hat ja eine längere Pause gemacht, was er im Song auch singt. Euch verbindet eine lange Freundschaft. Wie war es für dich, nach so langer Pause wieder zusammenzuarbeiten?

 

Sehr cool, dass es genau jetzt wieder einmal geklappt hat. Das war nicht so planbar und hat sich einfach ergeben. Der Track war noch nicht fertig, irgendetwas hat stimmungsmässig noch gefehlt. Für meinen Geschmack war er zu melancholisch, nur mit meinem Gesang. Also dachte ich, dass Phenomden perfekt passen würde. Zudem sage ich immer, dass es viel zu lange her ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Bei ihm bricht es zusätzlich die Ebene des Unmittelbaren, diese postpanedemischer Hoffnung, noch etwas auf, weil er wieder da ist nach zehn Jahren. Er kündigt quasi sein Karrierecomeback in diesem Vers an und das passt recht cool zum Song.

 

Du bist in Zürich aufgewachsen und die Stadt schwingt schon mit im Album, auch wenn sie namentlich nicht auftaucht. Etwa das Sitzen am Fluss in «Lieb sie glich» ist typisch. Wie erkennst du Zürich in deinen Songs?

 

Ich werde darauf immer wieder angesprochen und gelte irgendwie extrem stark als eine Art Zürich-Artist. Wir haben, wenn ich mich recht erinnere, beim letzten Interview auch darüber gesprochen. (lacht) Ich habe aber immer schon versucht, eine feine Linie zu finden, wenn ich über meine Stadt spreche. Ich lebe hier und logischerweise rede ich als Künstler über das, was mich beeinflusst. Aber es ging mir nie darum, eine lebendige Littfasswerbesäule für die Stadt zu sein. Ich versuche diese Einflüsse so subtil wie möglich zu verwenden, aber man checkt natürlich schon, woher gewisse Dinge kommen. Meine Hoffnung ist eigentlich, dass man die Songs auch in Basel, Bern, Stuttgart oder wo auch immer, gut hören kann und denkt: «Ah ja, das trifft auch auf meine Stadt zu». Gerade das mit dem Sitzen am Fluss kann an vielen Orten gefühlt werden. Ich möchte da nicht exklusiv nur Zürich repräsentieren, darum geht es mir überhaupt nicht. Aber die Stadt ist natürlich ein Teil meines Lebens als Künstler und das findet seit einigen Jahren zwischen diesen Postleitzahlen statt.

 

Klarer ist Zürich dann im «Hageholz West» zu erkennen. Der Song ist eine Art Widmung an die nächste Generation und gleichzeitig ein positives Plädoyer für die Fantasie und Freiheit. Bist du generell ein optimistischer Mensch?


Ich versuche es, bin es aber nicht immer. In mir gibt es beide Seiten. Es gibt Phasen in denen ich schon mit der «Halb voll und halb leer Glas»-Thematik kämpfe. Rein kopfmässig ist für mich aber klar, dass das nichts bringt. Die Lösung liegt für mich auf der positiven Seite. Ich höre selber aber auch keine stumpfe happy-happy-Musik, das ist nicht so mein Style. Da bin ich eher auf der bittersüssen oder melancholischen Seite, aber mit Silberstreif am Horizont. Diese Spiritualität bei Roots Music, ob Reggae oder Blues, berührt mich sehr, wenn ich sie höre. Ich bin selbst nicht religiös, aber wenn ich Gospel höre, ergreift mich das und gibt mit Hoffnung. Ein unglaublich starker Vibe kommt rüber und das ist für mich das Krasse an Musik. Solche Feelings auf meinem neuen Album zu transportieren war mein Ziel.

 

Du sprichst im Song zum «Kleinen Kapitän auf der grünen Wiese». Das ist ein sehr schönes und hoffnungsvolles Bild. Ist damit jemand besonderes gemeint oder ist das allgemein zu verstehen?

 

Das bin ich selbst. Es spielt in Schwamendingen bei meinem Grossvater. Ich habe versucht, einen Perspektivenwechsel zu machen und mir vorzustellen, wie es ist, wenn man durch einen Zwei-Generationen-Gap auf so ein kleines Kind schaut. Wie man sich so denkt, dass der Kleine eine völlig andere Welt vor sich hat und wie viel davon noch eine Schnittmenge zwischen den Generationen sein wird. Quasi dieser Moment, wenn man im letzten Drittel des Lebens zufrieden auf die neueste Generation schaut. Es ist imaginär geschrieben, aber schon auf einer Erinnerung basierend.

 

 

Ich habe zuhause noch ein Tape-Deck und finde geil, die Musik so zu hören. Also nicht unbedingt meine eigenen Sachen, aber generell gesehen. Es macht für mich das Release-Paket vollständig, natürlich mit einem Augenzwinkern, aber es ist nice es zu haben.

 

 

Das neue Album ist wie schon die letzte Platte als Audio-Kassette erhältlich. Ist das für dich mehr ein Retro-Gag oder besteht eine grosse Nachfrage?

 

Es gibt nicht wirklich eine grosse Nachfrage. Ich mache jeweils hundert Stück und die werde ich auch los. Ich mache das aber gerne und finde, das gehört bei mir dazu. Es gibt Leute, die Megafreude daran haben, aber ich mache das auch für mich selbst. Ich habe zuhause noch ein Tape-Deck und finde geil, die Musik so zu hören. Also nicht unbedingt meine eigenen Sachen, aber generell gesehen. Es macht für mich das Release-Paket vollständig, natürlich mit einem Augenzwinkern, aber es ist nice es zu haben. Zudem kann man so eine Kassette jemandem als Geschenk mitbringen und die Person hat immer Freude daran.

 

Wie geht es bei dir nach dem Release weiter? Erste Konzerte sind bereits ausverkauft, habe ich gesehen. Kann man überhaupt planen?

 

Es ist wirklich schwierig. Wir haben eine Tour gebucht, die auch schon verschoben werden musste. Jetzt ist sie für Ende Februar und März geplant und ich hoffe, dass die Shows stattfinden können. Darauf freue ich mich sehr. Es war ein langer Break und es wäre schön, wenn wir das Album endlich spielen können. An der Plattentaufe habe ich zehn von elf Songs vom Album gespielt, was viel ist, und es hat sehr viel Spass gemacht. Ich war mir da nicht so sicher, weil die neuen Songs teilweise doch ruhiger sind Aber es war sehr schön und jetzt freue ich mich auf die kommenden Konzerte. Das ist der nächste Plan.

 

Wenn du sagst, dass die neuen Songs etwas untypisch ruhig für dich seien, wie haben die Leute bei der Plattentaufe darauf reagiert?

 

Es war völlig easy und es gab keine Gaps und war als Set recht organisch. Für mich hat sich. das Set mit den alten und neuen Tracks sehr rund angefühlt. Erstaunlich war für mich, dass ein guter Teil der Leute die Texte bereits mitgesungen hat und das nach circa 48 Stunden, in denen das Album überhaupt erst veröffentlicht war. Für mich ist das völlig krass. Da haben sich manche viel Zeit genommen. Ich habe doch teilweise viele Silben in den Lyrics und es ist so schön, dass Leute nach wenigen Stunden schon mitsprechen und mitrappen können. Plattentaufen, die unmittelbar nach dem Release stattfinden, laufen ja sonst oft etwas Gefahr, dass die Leute eher die alten Songs feiern, die sie schon kennen. Insofern war das echt schön an meiner Taufe.

 

 

Bäckstage Redaktion / Mo, 20. Dez 2021