Meine Kompositionsausbildung besteht aus Dreiminutenpunkrock

Interview mit Bela B.
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© Konstanze Habermann

Bela B. weilte nicht mit seiner Hauptband, Die Ärzte, in der Schweiz, sondern mit seinem Soloprojekt, das er zusammen mit der deutschen Band Smokestack Lightnin‘ und der Sängerin Peta Devlin aktuell betreibt. Im Backstagebereich des Bierhübeli in Bern legte Bela die Bandbiografie von The Replacements, die er am Lesen war, zur Seite und nahm sich Zeit für ein Interview mit Bäckstage zu seinem aktuellen Album «bye» und seinen weiteren Projekten.

 

Bela, darf ich dich bitten, das Interview einzuzählen?

Bela: (Lacht) Einzuzählen? Ok, one, two, three, four – go!

 

Besten Dank! Den Grund dafür kennst du ja bestimmt bereits. Auf deinem neuen Album wird jeder Song von einer Frau eingezählt. 

Fast jeder – bis auf einen. Da habe ich zwar einen Einzähler aufgenommen, aber leider war ich so extrem nervös dabei – ich sag dir auch gleich warum – und da habe ich vergessen, die Aufnahmetaste zu drücken. Das war bei Emmylou Harris, die mir den Einzähler gesprochen hat. Also eigentlich sogar zwei und danach wollte sie nicht mehr. Sie ist ja schon so die «Queen of Country». Ich habe dann erst eine Stunde später gemerkt, dass ich es nicht aufgenommen habe.  

Dann hoffe ich mal, dass dies hier beim Interview nicht passieren wird und die Aufnahme läuft! Aber was ist denn eigentlich die Geschichte hinter diesen Einzählern?

 

Das war eine spontane Idee, die während den Aufnahmen entstanden ist. Wir waren im Clouds Hill Studio in Hamburg und es gab ein Country Konzert von Eleni Mandell, einer Sängerin, die ich schon lange als Hörer kenne. Da wollte ich hin, denn sie hat akustisch gespielt und ein Freund von mir, der mir bei meinem neuen Album als Supervisor geholfen hat und mir auch immer Tipps gab, was ich noch so für Platten anhören könne, der kannte sie persönlich. Sie hat sich dann spontan bei uns an den Tisch gesetzt und ich habe sie dabei gefragt, ob sie einen Einzähler macht, den ich dann vor einen Song setzen werde. Das hat sie auch gemacht und es hat so gut geklappt, also haben wir beschlossen, dass wir es für jedes Lied so machen. Das war dann aber schon eine Menge Arbeit und ich war mit wahnsinnig vielen Managements und Leuten in Kontakt. Dabei habe ich viele Absagen erhalten – nette Absagen und weniger nette Absagen. Und ich wurde auch von Leuten ignoriert. Aber natürlich gab es auch extrem tolle Zusagen.

 

Eleni Mandell traf aber dann das Schicksal, auf der B-Seite der Single zu landen mit ihrem Einzähler beim Song «Bausparvertrag». Das tut mir auch etwas leid, aber sie wird mir das bestimmt nicht übel nehmen. Jedoch hat sie das alles ins Rollen gebracht.

 

 

Ich lebe schon eine ganze Weile in Hamburg. Ich bin zwar Berliner und das wird auch nie anders sein, aber ich bin irgendwann nach Hamburg gezogen der Liebe wegen und auch mein Lieblingsfussballverein spielt da.

 

 

Dein drittes Soloalbum hast du zusammen mit Smokestack Lighnin‘ aufgenommen und nicht mit Los Helmstedt. Wie kam es zu dieser Änderung deiner Begleitband?

 

Los Helmstedt ist ja eigentlich eine Band, die extra gegründet wurde als Begleitband für mich. Bela B. y Los Helmstedt war halt die Band, die nur existierte, wenn ich als Frontmann dabei war. Das ist bei Smokestack Lightnin‘ anderes. Ich hatte zu Zeiten, als ich noch mit Los Helmstedt unterwegs war, mit Smokestack Lightnin‘ Kontakt aufgenommen und gefragt, ob sie im Vorprogramm spielen möchten auf einer Tour von mir. Danach habe ich sie auch bei einem Radiofest hinzugebucht und dort haben sie ein volles Konzert gespielt. Wir sind befreundet und ich habe mir gesagt, dass ich irgendwann eine Platte machen möchte mit dem Sound dieser Band. Das war natürlich ein Vorteil, da sie sowieso immer miteinander Musik machen, sich verstehen, kennen und zusammen grooven – was bei Los Helmstedt nicht der Fall war. Die kannten sich natürlich schon, aber haben ausserhalb unserer Tourzeit keine Zeit miteinander verbracht und musikalisch sonst auch nichts zusammen gemacht. Es war also eine andere Herangehensweise. Für die Musik, die ich aktuell machen wollte, also Roots Rock, Country, Folk – sehr akustische Musik, fand ich Smockstack Lightnin’ passend und bin sehr zufrieden, wie es aufgegangen ist.

 

Die Smokestacks haben dann noch einen weiteren Gitarristen hinzugeholt und auf der Suche nach einer Duett-Partnerin bin ich auf Peta Devlin gestossen, die auch ein Vorschlag von zwei Jungs der Smokestacks war. Peta lebt in Hamburg, was dann natürlich kostengünstig war, um sie zu treffen. Wir haben uns gleich gut verstanden und ich habe ihre Begeisterung für Musik gespürt. Als wir dann im Studio waren, war ich so begeistert von ihr und habe sie gefragt, ob sie in die Band einsteigen möchte, was sie glücklicherweise gemacht hat.

 

Mittlerweile lebst du also in Hamburg und nicht mehr in Berlin?

 

Ja, ich lebe schon eine ganze Weile in Hamburg. Ich bin zwar Berliner und das wird auch nie anders sein, aber ich bin irgendwann nach Hamburg gezogen der Liebe wegen und auch mein Lieblingsfussballverein spielt da.

 

Das Album sollte ja eigentlich bereits 2011 herauskommen. Wieso hat es sich verzögert?

   

Nein, 2011 wollten wir es aufnehmen. 2010 haben wir das erste Mal konkret darüber gesprochen, wann wir anfangen wollten und eigentlich wollten wir es 2011 aufnehmen, jedoch haben wir noch geprobt und Songs hin und her geschickt. Dann hatte ich mit den Ärzten viel zu tun, danach hatten die Jungs auch Tourneen, denn die leben auch von der Musik. Teilweise geben sie Unterricht oder spielen noch in anderen Bands. Bernie, der Bassist macht Filmmusik. Deshalb hat es sich immer weiter verschoben. Im Januar 2012 sind wir schliesslich das erste Mal ins Studio gegangen und haben innerhalb von 10 Tagen die ersten Aufnahmen gemacht. Dann waren über ein ganzes Jahr hinweg immer mal wieder Aufnahmen und zwischendurch hatte ich auch immer mit den Ärzten zu tun. Etwa ein Jahr später haben wir dann die Platte fertig gemacht. Ich denke aber, dass dies der Platte gut getan hat, da immer wieder neue Sachen hinzugekommen sind. Peta Devlin kam hinzu und hat dem ganzen nochmals einen anderen Glanz gegeben. Ich hatte ja auch keinen Zeitdruck, denn die Ärzte waren sehr beschäftigt bis Ende 2012.

 

Neu gehst du ja in Richtung Country - wie hat da dein Umfeld reagiert? Country Musik «gilt» ja oft als eher konservativ, was Punk überhaupt nicht ist.

 

Das ist ja auch ein dummes Vorurteil gegenüber der Country Musik. Den Ärzten wurde dies nie vorgeworfen, wenn sie Rockabilly oder Country Musik gemacht haben. Denn das haben sie alles schon gemacht – auch in den Anfangstagen. «Kopfhaut» zum Beispiel wurde mit Banjo gespielt oder «Und ich weine», die B-Seite von der ersten Single bei der CBS, das waren alles Country-Songs und uns hat das auch nie jemand vorgeworfen. Natürlich ist Country in gewisser Weise das amerikanische Pendant der Volksmusik der Deutschen. Aber dies auch nur teilweise, denn es gibt im Country viele Strömungen, die aufhebend, politisch und musikalisch total spannend waren. Man kann es als den Blues des weissen Mannes vergleichen. Abgesehen davon, dass es nicht reiner Country ist, den wir auf unserer Platte machen, sind diese Einflüsse auch auf den anderen Soloalben von mir und manchen Ärzte-Kompositionen gut zu hören. Ich finde das jetzt nicht so ungewöhnlich. Die Initialzündung bei mir war, als ich als Kind mal Johnny Cash im Fernsehen gesehen habe – noch vor dem Punkrock. Da hat er ein wahnsinnig tolles Konzert in San Quentin gespielt, das im Fernsehen aufgezeichnet wurde. Der Vorgabe, dass er das bestimmte Lied, den San Quentin Song nicht spielen durfte, hat er sich immer wieder widersetzt und die Gefängnisleitung hat nachgegeben aus der Angst vor einer Gefängnisrevolte. Das hat mich total beeindruckt. Ich hab auch zusammen mit Farin Urlaub 88 oder 89 das erste Johnny Cash Konzert live gesehen. Country ist also nicht so fern von mir, wie viele denken. Viele Punkbands, wie Social Distortion oder Red Rockers haben sich bei dieser Musik bedient. Es gab ja auch in den letzten Jahren diese Revival Tour von den Frontmännern von The Gaslight Anthem, Alkaline Trio und Chuck Ragan, die akustische Platten gemacht haben. Nicht dass ich das nachmache, aber ich fühlte mich sehr zu dem hingezogen oder auch zu Bands, wie den Avett Brothers, die ich in den letzten Jahren für mich entdeckt habe. 

Und letztendlich, um dies auch abzuschliessen: Meine Kompositionsausbildung besteht natürlich aus Dreiminuten Punkrock und Popsongs – das dann mit diesem akustischen Sound zu verbinden ist natürlich spannend. Ich habe auch gelernt Mandoline zu spielen und es war ein toller Schritt in meinem Leben.

 

Der Song «Abserviert» soll ursprünglich von Wir sind Helden sein. Kannst du etwas mehr über die Geschichte dieses Songs erzählen?

 

Es war ein Demo-Song von Wir Sind Helden, den sie abgelehnt haben. Jean Tourette, der Keyboarder, der ihn auch geschrieben hat, ist ein alter Freund von mir. Er hat mir den Song in der Urversion geschickt, der in die Richtung Motown Soul ging. Er passte von der Instrumentierung her sehr gut zu uns, obwohl es kein Country ist. Ich habe dann einen anderen Text dazu geschrieben und Jean hat sich sehr gefreut darüber, aber er war auch ein wenig traurig. Irgendwann habe ich auch Judith Holofernes (Frontfrau von Wir sind Helden, Anm. d. Red.) getroffen und ihr den Song vorgespielt. Sie fand das sehr lustig und konnte sich noch an das Lied erinnern. Sie hat sich sehr gefreut, dass das Lied nicht in der Versenkung verschwunden ist.

 

 

Das Bild des Produzenten hat sich extrem verändert, denn heutzutage nimmt ein Produzent ein Album auf oder bringt dich auf einen musikalischen Weg. Wenn man aber den Weg schon hat, dann braucht man keinen Produzenten. Dann kommt noch dazu, dass man einen zusätzlichen Mischer braucht, denn heutzutage mischen die Produzenten die Platten gar nicht mehr. 

 

 

Die restlichen Songs sind aber alle von dir?

Nicht ganz. «Jour de ma mort», eine französische Ballade, welche zur Plattenladenwoche als B-Seite unserer aktuellen Single «Streichholzmann“ herauskam, hat Bernie, unser Bassist, geschrieben. Auch «Teufelsküche» vom Album ist von Bernie. Alle anderen Songs sind von mir, jedoch habe ich Peta gebeten bei einem unserer gemeinsamen Duette, nämlich  «Ist das Alles“, ihre eigenen Textzeilen zu schreiben, um sie auch als Texterin miteinzubinden. Und viele Songs teile ich als Arrangeur mit Smockestack Lightnin‘. Schliesslich haben sich die Songs teilweise sehr durch die Band verändert. Das meiste habe ich aber schon selbst geschrieben und es sind auch noch viele Songs übrig geblieben, die wir dann irgend ein andermal machen.   

Schreibst du spezifisch für deine Solosachen und für Ärzte-Songs oder schreibst du einfach und danach wird entschieden?

 

Bei meinem ersten Sololbum habe ich viel mit meinem Produzenten geschrieben, der auch in der Band war und mit einer Sängerin, mit der ich eng befreundet bin. Das war also überhaupt kein Ärzte-Zeug. Beim zweiten Album habe ich spezifisch für das Album geschrieben und parallel dazu auch noch für die Ärzte Platte geschrieben – damals habe ich auch sehr getrennt. Aber jetzt ist es tatsächlich so, dass ursprüngliche Ärzte Songs dabei sind, denn ich habe für das letzte Ärzte-Album 19 Songs geschrieben. Davon kamen fünf oder sechs Stück auf das Album und natürlich waren dann auch einige übrig. Davon habe ich etwa sieben für das Soloalbum vorgeschlagen und wir haben sie danach etwas umarrangiert, neue Texte geschrieben oder verändert. «Sentimental» ist ein Beispiel dafür.

 

Ich habe gehört, dass du bei der Ärzteversion von «Sentimental» viel öfters den Ausdruck Spermafleck in den Lyrics gebraucht hast.

Bei der Ärzteversion ging es um die Ironie, eine anrührende Ballade mit dem hässlichen Wort Spermafleck zu singen. In der Version, wie wir es jetzt spielen, eine psychedelische Ballade, hab ich es einmal drin gelassen für den Anfang, weil ich es so eleganter finde und vielleicht auch witziger, wenn es nur einmal vorkommt. 

Das Album «bye» handelt von Abschieden und Trennungen. War etwas bestimmtes bei dir, dass das beeinflusst hat?

 

Nicht unbedingt. Es ist aber so, dass Abschiede und sich aufzumachen zu neuen Ufern die Geschichte des Covers erzählt. Es ist aber auch ein Bild, das in den Songs auftaucht. Die Folk, Roots Rock und Country Musik ist auch eine Musik, die sehr zum Reisen und Bewegen passt. Ich habe schon das Gefühl, dass die Songs nicht so martialisch da stehen, wie beispielsweise Punk oder Metal, sondern sie sollen sich nach vorne oder nach hinten bewegen. Bei den Texten sind mir tatsächlich sehr viele dramatische, aber auch positive Liebesthemen eingefallen.

 

Die letzten beiden Ärzte Alben habt ihr ja selbst produziert, da ihr gerne die Kontrolle habt. Wie war dies mit «bye»?

 

Das habe ich auch selbst produziert – allerdings zusammen mit Smokestack Lightnin‘. Sie waren die Arrangeure dabei und somit Co-Produzenten. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, einen Produzenten dazu zu holen. Das Bild des Produzenten hat sich extrem verändert, denn heutzutage nimmt ein Produzent ein Album auf oder bringt dich auf einen musikalischen Weg. Wenn man aber den Weg schon hat, dann braucht man keinen Produzenten. Dann kommt noch dazu, dass man einen zusätzlichen Mischer braucht, denn heutzutage mischen die Produzenten die Platten gar nicht mehr. Bei den Ärzten war es halt mit «Jazz ist anders» an der Zeit, eine Platte selbst zu produzieren und das hat auch eine wahnsinnige Energie freigesetzt, sodass wir uns entschieden haben, dies beizubehalten. 

Selbst spielst du ja auch gerne in Filmen – sei es als Platzanweiser bei «Inglorious Basterds» oder in der Low-Budget Produktion «Glanz & Gloria» von Alexander Marcus.

Gespielt habe ich bei «Inglorious Basterds» ja nicht wirklich – da stehe ich einfach herum (lacht). Die Kunstfigur Alexander Marcus finde ich super. Ich habe ihn mal eingeladen, mit uns auf die Bühne zu kommen und ein Lied zu spielen. Das hat er dann auch gemacht und er hat mich dann gefragt, ob ich in seinem Film einen Gastauftritt mache. 

Kommt vielleicht bald was Neues?

 

Momentan habe ich nicht allzu viel Zeit. Seit einem Jahr haben wir mit Smokestack Lightnin‘ immer wieder gespielt und sind jetzt bei fast 60 Konzerten. Peta und ich haben auch noch Akustik-Konzerte gegeben. Dabei haben wir auch noch die Platte fertig aufgenommen und gemischt, ein Label herausgebracht, auf dem auch Peta Devlins Band Mars Needs Women rauskommt. Die letzte Smokestack-EP kam auch auf dem Label heraus. Deshalb hatte ich so viel zu tun, dass ich wenig Zeit hatte. Aber ich habe in einem Film, der «3/4» heisst – ein Arthouse-Film mit sehr viel Dialog – zusammen mit Helene Grass gespielt. Ich arbeite jedoch momentan auch an einem Drehbuch zusammen mit dem österreichischen Regisseur Thomas Roth. Wir haben schon die vierte oder fünfte Fassung davon geschrieben und sind jetzt natürlich auf der Suche nach Geldgebern. Eine österreichische Produktionsfirma haben wir bereits und Deutsche sind interessiert. Ich hoffe, dass wir es im nächsten Jahr verwirklichen können – dann auch mit Musik von Bela B., Smokestack Lightnin‘ und Peta Devlin.  

Und zum Schluss noch: wirst du im Sommer in der Schweiz an Festivals spielen?

 

Bis jetzt ist noch niemand dran, herauszufinden, ob wir hier spielen. Aber ich würde sehr gerne! Live zu spielen ist super und auf Festivals ist es immer etwas eine abgefahrene Sache. Wir haben auf einem Festival in Österreich mit den Beatsteaks nach einer brachialen Hardcore Band gespielt. Ich fand es schon ein bisschen komisch. Auf einem anderen Festival haben wir auch auf der Punkbühne gespielt zwischen Lagwagon und einer anderen Hardcore Band. Aber es passte dann total gut und die Leute nehmen dies auch sehr gut an, da sie es erfrischend finden, wenn es ruhiger ist, man alles hört und tanzbar ist unsere Musik sowieso. 

 

Das anschliessende Konzert im gut gefüllten Bierhübeli Bern begann Bela B. dann auch ohne Begleitung mit einem Cover von The Replacements, nämlich «If Only You Were Lonely». Danach gesellten sich Smokestack Lightnin‘ und auch Peta Devlin zu Bela auf die Bühne und bewiesen während rund zwei Stunden, dass ihre Songs wirklich sehr tanzbar sind.

Hansjürg Stämpfli / Mo, 08. Dez 2014