Janick von Tim Freitag: «Ich feile an jedem verdammten Wort»

Interview mit Tim Freitag
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Pressebild / © Alexis Saile

Am Zürich Openair hatten wir Zeit, um mit Janick Pfenninger, Sänger der Zürcher Rockband Tim Freitag über Musik, das Songschreiben sprechen und den Wert richtiger Freunde sowie das Leben zwischen den Kontinenten thematisieren.

 

Hi Janick! Ich habe mir soeben euren Auftritt angesehen, mit deinen akrobatischen Einlagen.

 

Janick Pfenninger: Ja, ich hab’ mir Mühe gegeben.

 

Obligate Einstiegsfrage: hast du dir Billies Nummer schon geholt? (Janick hatte zuvor beim Gig von ihr geschwärmt)

 

Nein, noch nicht! Aber ich bin ihr vorhin begegnet. Sie hat mir ganz lange in die Augen geschaut. Die Nummer habe ich aber nicht gekriegt.

 

Was ist deine allererste musikalische Erinnerung? Also das erste Mal, dass dich Musik in irgendeiner Form mitgerissen hat?

 

(Wie aus der Pistole) Keziah Jones.

 

Was war da los?

 

«Bluefunk Is a Fact» war das erste Album, das ich von mir aus entdeckt habe. Davor war ich mehr mit den Beatles oder den Rolling Stones unterwegs. Als ich die CD in den Player schob, fand ich jeden einzelnen Song verdammt gut.

 

Wie alt warst du da?

Siebzehn. Ich kam relativ spät zur Musik, und es hat dann auch noch einen Moment gebraucht. Ich ging mit 17 mit meiner Familie nach Rom, und sah dort auf einer Piazza einen Strassenmusiker, der von Leuten umrundet war. Der sang und spielte Bass. Diese Begegnung und Keziahs Album brachten mich dazu, ebenfalls Musiker zu werden. Danach machte ich lange Zeit Strassenmusik und gründete ein Duo mit meinem Onkel, der Musiklehrer ist und mir alles beibrachte. Wir traten oft auf. Danach reiste ich als Strassenmusiker selbst durch Europa und spielte schlussendlich auf derselben Piazza wie der Strassenmusiker, der mich zum Musikmachen inspirierte. Und ich glaube, dass ich nur wegen Keziah oben ohne auftrete. Ich dachte mir bei seinen Auftritten stets «Fuck ist der schön». Aber so skinny wie er kann ich’s leider nicht rüberbringen.

 

Dafür hast du Abs.

 

Für die ich nichts kann. Lieben Dank an meine Mutter.

 

 

Eure Band trat um 2013 erstmals in Erscheinung. Aber danach gingst du vier Jahre nach New York.

 

Das war eine wirre und irre Zeit.

 

Brauchte die Band deswegen eine Pause oder hast du Band für das Stipendium in New York auf Eis gelegt?

 

Es war nicht so, dass ich untätig gewesen wäre. Das Stipendium in New York war für ein halbes Jahr gültig, und in dieser Phase lernte ich die Amerikanerin Vania kennen, die zu meiner Freundin wurde. Viele kennen sie jetzt durch unsere Musik. Wir beide waren damals ein Liebespaar und schrieben gemeinsam Songs. Es gab nur sie und mich. So entstand auch «Tip Toe». Darum geht’s ja in dem Song. Du lebst in einer Bubble und kommst kaum mehr aus ihr raus - was sehr negativ sein kann, weil man nur noch einander hat. So eine Isolation hat auch seinen Reiz, aber ist eben: giftig. Das Problem war auch, dass sie Ami ist und ich Schweizer. Wir mussten nach meinem Stipendium alle 3 Monate Amerika verlassen, reisten dann in den Süden von Portugal zu ihren Verwandten, dann nach Zürich und dann wieder zurück nach New York. Dieses Spiel wiederholten wir einige Male. Wir bewegten uns im Limbo und eine Band zu haben war deshalb unmöglich. Auch darum ging unsere Beziehung in die Brüche. Doch das Schöne daran: an dem Tag, als wir uns trennten, rief ich meinen Jungs an, und alle waren sofort wieder an Bord. Das war so ein schöner Moment, auch weil ich nun einen Rucksack voller Songs besass. Erst dann hat es so richtig angefangen.

 

 

Unser Debüt-Album kommt im März 2020. Aber heutzutage ist das Problem, dass alles nur noch auf Song-Basis funktioniert. Davon bin ich eigentlich ein Gegner, denn ein Gesamtwerk zu haben, ist etwas unglaublich Schönes.

 

 

Aber dazwischen waren ja vier Jahre vergangen. Man könnte denken, dass sich einige bei anderen Bands verpflichtet oder eine Karriere bei der Bank begonnen hätten. Und dennoch waren alle sofort dabei?

 

Das sind eben gute Freunde! Wir waren zwischenzeitlich ständig in Kontakt gewesen, aber natürlich herrschte bei ihnen Verwirrung darüber, was ich denn genau mache oder in welchem Land ich gerade bin. Aber schlussendlich ging alles auf. Wir spielten das erste Reunion Konzert im La Catrina in Zürich und es fühlte sich wieder an wie früher. Die Familie war wieder zusammen. Der ganze Umweg hatte sich gelohnt.

 

Ihr bringt ja Videos am laufenden Band raus. Warum kein Album? Liegt das daran, dass ihr es langsam angehen wollt?

 

(Überlegt kurz) Unser Debüt-Album kommt im März 2020. Aber heutzutage ist das Problem, dass alles nur noch auf Song-Basis funktioniert. Davon bin ich eigentlich ein Gegner, denn ein Gesamtwerk zu haben, ist etwas unglaublich Schönes. Aber irgendwie haben uns «Bruises», «Hold On» und «By Your Side» gezeigt, dass der Single-Weg heute einfach gut funktioniert. Denn wenn du ein Album machst, dann sind alle Songs auf einen Schlag draussen. Auf eine Art hast du deine Seele ausgekotzt, und die Radiostationen picken daraus vielleicht 1-2 Songs. Das finde ich schade, denn da steckt zu viel Liebe in den einzelnen Songs. Ich feile an jedem verdammten Wort. Wirklich. Jeder Ton, jedes «Oh!». Manchmal geht es zwei Wochen, bis wir den Schluss eines Liedes hinbekommen, weil wir spüren, dass irgendwo eine Kleinigkeit nicht stimmt. Das sind gewaltige Prozesse, die halt Zeit brauchen. Und ich finde es schön, in einen Song einzutauchen und hinterher sagen zu können: Das ist er jetzt, das ist unser neustes Baby. Hört her!

 

Man stellt sich so einen Aufnahmeprozess gemeinhin sehr romantisch vor.


Es ist romantisch, wenn man überlegt, dass die Personen, die diese Musik machen, alles dafür geben. Und wenn es hinterher nicht so rüberkommt als stecke viel Arbeit dahinter, dann ist das die grosse Magie. Dass du es dir anhörst und dir denkst: Das ist einfach ein schöner Song.

 

So wie zuvor am Konzert. Die Leute gingen total ab und waren verzaubert.

 

Und die kennen unsere Songs überhaupt nicht. Das ist ja das Geile! Die kennen gerade mal zwei Songs.

 

Ihr investiert ebenfalls eine Menge in eure Musikvideos. Eins davon ist ja sogar für Preise nominiert worden.

 

Crazy!

 

Wie kam das? Seid ihr auf Profis zugegangen?

 

(Lacht) Nein! Es passiert einfach. Es wird immer grösser, ich sag’s dir. Das ist eine Riesenfamilie. Videos wie «Bruises» habe ich noch selbst geschnitten. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich keine Energie mehr dafür habe. Dann kamen Achille Lietha und Patrick Betschart ins Boot. Sie beide haben die letzten drei Videos gemacht hat. Das Ziel ist schon, dass wir für jeden fucking Song auf dem Album einen Clip haben.

 

Ihr habt einen grossen Anspruch an euch selbst. Und der überträgt sich auf eure Musik und eure Konzerte. Es sind ja alles Musiker mit Ausbildung.

 

Ausser mir. Ich habe keine Ahnung.

 

Naja, ihr habt schon über hundert Konzerte gespielt. Du dürftest inzwischen eine Menge Bühnenerfahrung haben.

 

Schon, das stimmt … aber mein Gitarrenspiel hat von der Erfahrung nicht sonderlich profitiert. Sobald ich die Gitarre zur Hand nehme, ist die Band im Panikmodus. Mittlerweile darf ich nur noch bei zwei Songs spielen.

 

 

Psst, nach dem ersten Album bringen wir vielleicht wirklich ein Remix-Album. Allein von «By Your Side» haben wir fünf verschiedene Fassungen.

 

 

In einem Interview hast du als deinen Lieblingsfilm «Die fabelhafte Welt der Amélie Poulain» genannt.

 

Ah, du hast wirklich genau hingeschaut! Wunderschönster Kitsch, oder? Aber ich bin so in sie verliebt.

 

Sie lebt ja ein stückweit in einer eigenen Welt. Hattest du als Kind eine Phase, in der du dich intensiv einem Hobby gewidmet hast? Und dir damit quasi eine eigene Welt geschaffen, zu der nur du Zugang hattest?

 

Total, ja. Es wirkt oft so, als wäre ich extrovertiert. Am liebsten bin ich aber alleine, umgeben von meinen Instrumenten und im Film der Musik. Aber auf der Bühne kann dennoch meine andere Seite ausleben. Das hilft mir dabei, jemand zu sein, der ich im Grunde sonst nicht oft bin. (fasst an seinen Umhang) Denn sobald du das hier trägst, dann musst du eine Show abliefern und ich werde zu einem anderen Menschen.

 

Als jemand, der schon ein Welchen auf dem richtigen Weg ist: welchen Ratschlag würdest du jüngeren Bands geben, die etwas erreichen wollen?

 

Das klingt jetzt total schlimm und amerikanisch, aber vergiss nie deine Freunde, die von Anfang mit dabei waren. Pfleg deine Freundschaften. Es ist aber auch wichtig, dass du nur mit Leuten arbeitest, die dich weiterbringen. Dies zu unterscheiden ist manchmal etwas schwierig. Aber wir sind ja noch lange nicht dort, und deswegen würde ich meine Ratschläge nie für Weisheiten halten.

 

Wobei du musikalisch ja schon 15 Jahre tätig bist.

 

Ja, aber funktioniert hat es erst ab 2017. Davor waren wir eine Indie-Band. Und nun steigen wir laaangsam die Leiter hoch. Wie weit wir diese Treppen noch ersteigen? Keine Ahnung, auch egal. Wir machen einfach das, worauf wir Bock haben und haben dabei eine gute Zeit zusammen. Wenn wir Lust auf einen Remix haben, dann machen wir einen Remix.

 

Mit all den Remixen könntet ihr gleich eine Remix-Platte machen.

 

Psst, nach dem ersten Album bringen wir vielleicht wirklich ein Remix-Album. Allein von «By Your Side» haben wir fünf verschiedene Fassungen. Musik ist einfach etwas Schönes. Und wenn ein Song gut ist, und wenn du ihn auf einer Gitarre in einem fucking Pfadiheim spielen und die Leute damit berühren kannst, dann kannst du ihn später als Trap oder Techno oder was auch immer bringen. Dann funktioniert er einfach, und das muss das Ziel von Musik sein; dass sie berührt. Lieber verwirren wir die Leute ein bisschen, als dass wir sie kalt lassen.

 

Tim Freitag - «Tip Toe»

 

 

Mike Mateescu / Mi, 25. Sep 2019