Del Fume feat. Carol Schuler: «Wir haben uns nicht hingesetzt und gesagt: Zu dem Thema schreiben wir jetzt eine EP»
Die EP «Chaos and Closure» vereinigt vier musikalisch sehr breite, textlich mächtig tiefe und emotional starke Songs aus der Feder zweier kreativer Menschen aus der Schweiz. Carol Schuler ist Schauspielerin, bildet aktuell die Hälfte des Ermittlerinnen-Duos im Zürcher «Tatort», Del Fume aka Tobias Tissi ist als Musiker und Produzent etabliert. Seit zwanzig Jahren kennen sich die beiden, haben sich aber erst vor ein paar Jahren zufällig wiedergetroffen und so ist das Projekt Del Fume feat. Carol Schuler aus der Taufe gehoben worden. Im Interview erzählen sie davon. Aber auch von der Arbeit an den Songs, wie viel Persönliches drin steht bzw. wie schmal der Grat zwischen persönlicher Ebene und allgemeinen Themen beim Texten sein kann, aber auch über die Zusammenarbeit bei räumlicher Trennung.
Ihr kennt euch seit über zwanzig Jahren, habt schon damals gemeinsam Musik gemacht. 2022 habt ihr euch zufällig wiedergetroffen. Daraus ist die EP «Chaos and Closure» entstanden. Wie hat sich das ergeben?
Carol Schuler: Wir haben uns sehr lange nicht gesehen, weil Tobias in Berlin gelebt hat und als er wieder in der Schweiz war, zog ich nach Berlin. So haben wir uns aus den Augen verloren. Als ich für den «Tatort» in Zürich drehte, haben wir uns zufällig vor dem Kunsthaus getroffen. Dann hast du spontan gesagt, dass wir wieder gemeinsam Musik machen sollten.
Tobias Tissi: Genau. Kontakt hatten wir über die Jahre schon immer, wenn auch sporadisch. Ich weiss nicht mehr genau, ob die Idee von mir oder Carol kam, aber es hat sich relativ schnell wieder ergeben.
Wie hat sich die Arbeit an neuer Musik im Vergleich zu vor 20 Jahren angefühlt?
TT: Das Gefühl war noch genau gleich, da hat sich nicht verändert.
Und die Arbeitsweise?
TT: Ich empfinde es nicht anders. Musik ist nach wie vor etwas vom wichtigsten in meinem Leben. Bei der Arbeitsweise hat sich durch Softwareentwicklungen schon einiges vereinfacht. Aber auch vor zwanzig Jahren buchten wir keine Studios, um Musik zu machen, sondern haben alles in Eigenregie produziert.
Tissi: «Ich war nie an einem Punkt, an dem ich dachte: «Das hätte ich komplett anders gemacht».»
Gibt es bei so einem Projekt auch mal Diskussionen über den kreativen Weg, selbst wenn man sich so lange kennt?
CS: Eigentlich nicht. Wir sind uns meistens ziemlich einig. Tissi ist zuständig für die Musik, ich schreibe die Texte. Vielleicht diskutieren wir über das eine oder andere Wort, weil ich eine Passage als zu hoch für meine Stimme empfinde und Tissi meint: «Das schaffst du schon, klingt geil». (lacht)
TT: So läuft es meistens. Was Carol sagt, stimmt schon. Ich mag es, wenn ich sie beim Gesang «leiden» höre.
CS: Aber streiten würde ich nicht sagen, dafür sind wir zu schnell auf einem gemeinsamen grünen Zweig. Es kommt aber vor, dass wir uns die Songs hin- und herschicken, weil wir oft nicht am gleichen Ort sind, und sie so lange bearbeiten, bis wir zufrieden sind.
TT: Es findet ein reger Austausch statt, aber wir konnten uns bei allen Songs gut einigen. Ein Song ist klar von Carol, ein anderer von mir und so finden wir uns irgendwo in der Mitte. Ich war nie an einem Punkt, an dem ich dachte: «Das hätte ich komplett anders gemacht». Wenn man gemeinsam arbeitet, muss zudem immer irgendwo ein Kompromiss gefunden werden.
Ich habe auf der textlichen Ebene manchmal das Gefühl, dass ihr euch persönlich öffnet, aber gleichzeitig können die Texte genauso auf die Gesellschaft angewandt werden. Wie bewusst geht ihr diesen schmalen Grat von Doppeldeutigkeit?
CS: Das ist mir durchaus bewusst. Natürlich entstehen sämtliche Texte aus einer persönlichen Perspektive heraus und aus eigenen Erfahrungen. Ich versuche aber schon, die Text auch möglichst allgemeingültig zu halten. Gute Poptexte sind oft so gestaltet, dass man sie sowohl persönlich sehen, aber auch auf die Allgemeinheit anwenden kann. Das ist die Kunst beim Schreiben, darum freut es mich, wenn das deutlich wird.
Menschlichkeit spielt auf der EP generell eine Rolle. War dieser rote Faden schon von Anfang an da oder hat er sich ergeben während der Entstehung der Songs?
CS: Das ist im Prozess so entstanden. Wir haben uns nicht hingesetzt und gesagt: «Zu dem Thema schreiben wir jetzt eine EP». Die Texte sind jeweils in einer Zeit entstanden, in der mich das entsprechende Thema beschäftig hat. Die Songs sind musikalisch sehr unterschiedlich und ich finde recht schön, wie gut Musik und Texte trotzdem zusammenpassen.
TT: Das sehe ich genauso. Ich meine, dass die Musik die Texte teilweise zusätzlich beeinflusst hat.
Carol: «Es ist mit Backen vergleichbar. Man schaut, wo noch ein Refrain oder ein musikalisches Element reingehört, und so baut sich der Song auf.»
Ihr scheint einen feinen Stil in den Texten zu pflegen. Ob es die kleine Hommage an «Mission Impossible» mit dem Countdown im Text zu «Agent Meltdown» ist oder der schwarze Humor bei Zeilen wie «Stay seated and keep calm, the Situation is out of control» oder kühle Realität, wie bei «Everyone is trying to tell Fact from Fiction», wo ihr die aktuelle Fake News-Problematik auf den Punkt bringt. Wie schwierig ist es, solche Beobachtungen bzw. aktuellen Bezüge in den Texten auszuarbeiten?
CD: Die kommen einfach. Zum Beispiel ist die Zeile «Everybody is trying …» schon recht alt. Wenn ich im Zug sitze oder sonst unterwegs bin, schreibe ich immer mal wieder Lines auf und daraus entsteht manchmal erst viel später ein Song. Im Fall von «Tired Heart» war diese Zeile schon sehr früh da. Schwierig ist eher, aus den Ideen einen Song zu machen. Aber die Zeilen fliegen einfach rum und werden niedergeschrieben. Danach ist es mit Backen vergleichbar. Man schaut, wo noch ein Refrain oder ein musikalisches Element reingehört, und so baut sich der Song auf.
TT: Das habe ich auch bemerkt. Wenn wir über Texte oder Strophen gesprochen haben, fiel es dir nicht schwer, eine Strophe aufzugeben und etwas komplett Neues zu kreieren. Es ist so gesehen schon ein Prozess.
CS: Das stimmt. Aber um auf deine Frage einzugehen, schwer fällt es mir nie, sondern macht sehr viel Spass, wenn ich mit den Bausteinen experimentieren und sie herumschieben kann, um zu sehen, wie ich zum Kuchen komme, den ich am Schluss haben möchte.
Carol Schuler feat. Del Fume - «Tired Heart»
Ihr seid beide neben diesem Projekt beruflich engagiert. Wie schwierig war es, das Album nebenher zeitlich zu produzieren?
TT: Das war gar nicht schwierig. Wir haben angefangen mit dem Sammeln von Ideen und dann hat sich vieles ergeben, weil wir nicht chronologisch an die Sache gegangen sind, sondern Song für Song geschrieben haben. So haben sich die Songs immer klarer gezeigt. Ich habe dann eher die organisatorische Rolle eingenommen und gesagt, wo es noch dieses oder jenes braucht. Carol war daneben stark bei Texten und Gesang engagiert. Wenn ich die Metapher mit dem Backen weiterziehe, geht es schon in diese Richtung. Ein Plan existierte nicht wirklich, sondern wir sind zusammen an dies Song herangegangen und haben sie gemeinsam beendet. Irgendwann haben wir uns eine Deadline gesetzt und danach standen die finalen Arbeiten mit Mischen und Mastern an. So wussten wir, dass wir rund fünf Monate vorher fertig sein müssen, um genug Zeit für die letzten Produktionsschritte zu haben. Wir haben also eher von hinten her zu denken begonnen.
Habt ihr alles vollständig zu zweit gemacht oder waren noch Gastmusikerinnen oder Musiker involviert?
TT: Bei drei Songs spielt Beat Jegen am Schlagzeug, bei «Open Book» hat Fabian Sturzenegger die Glöckchen und Synthies beigesteuert, aber der Rest ist von uns beiden.
CS: Bei «Agent Meltdown» hat zudem Lars Dieterich, ein Freund aus Berlin, das Saxofon gespielt. Ein wenig Berliner Saxofon, eigentlich sogar den ganzen Bläsersatz, haben wir also auch drin. (Beide lachen)
Tissi: «Wir haben nach und nach die Instrumente aus dem Demo ersetzt und beispielsweise Gitarre oder Bass neu aufgenommen. Vom Demo, das ursprünglich der Boden war, ist nicht mehr wahnsinnig viel übrig.»
Wie habt ihr die musikalische Struktur, die Arrangement usw. für die EP entwickelt?
TT: Das basiert alles auf einem Demo. Gerade beim Beispiel mit Lars aus Berlin ist es so, dass ich zuerst die Bläser mit einem Synthie gelegt habe, und Lars sie danach für die Ausarbeitung eingespielt hat. Beim Schlagzeug habe ich ebenfalls erst die Drums aus Loops kreiert und später ist das echte Schlagzeug dazugekommen. So haben wir nach und nach die Instrumente aus dem Demo ersetzt und beispielsweise Gitarre oder Bass neu aufgenommen. Vom Demo, das ursprünglich der Boden war, ist nicht mehr wahnsinnig viel übrig. Wir haben aber nicht auf eine Session hin alles verändern, sondern das ist langsam passiert.
Wenn ihr zurückblickt, wie spannend ist es, den Unterschied zwischen der fertigen EP und den ersten Ideen und Skizzen zu sehen?
CS: Ich finde spannend, wie gut alles passt. Wir haben und nie hingesetzt und eine Musikrichtung festgelegt, sondern völlig frei angefangen Musik zu machen. Wir sind beide breit gefächert in unseren Geschmäckern. Ich komme mehr vom Rock, Synthie-Sachen sind mehr das Ding von Tissi. Ich finde aber geil, dass wir uns gar nicht fragen, welche Musikrichtung die EP ist, sondern das den Menschen überlassen wird. Für mich ist schön, zu sehen, wie homogen das Album geworden ist, obwohl es so unterschiedliche Ansätze hat.
TT: Da hast du einen schwierigen Punkt schön formuliert. Wenn Leute fragen, welchen Stil wir machen, ist es relativ schwierig zu benennen. Aber schlussendlich haben sich die Songs gut entwickelt und die EP ist in meinen Augen respektive Ohren zu einem tiefgründigen Album geworden. Ich glaube schon, dass wir mit genügend Zeit und Geduld ziemlich alles herausgeholt haben, was in den Songs steckte.
Carol: «Oft bekomme ich von aussen die Frage gestellt, ob ich Schauspielerin oder Sängerin bin. Für mich ist beides eine Art von Ausdrucksform und ich gehe recht ähnlich an beide Sachen heran.»
Carol, du bist auch als Schauspielerin bekannt. Wie wertvoll ist die Arbeit mit Sprache, Intonation und Phonetik in deinem Beruf für dich als Sängerin?
CS: Umgekehrt bringt es mir mehr, weil für mich alles Musik ist. Englisch ist nicht meine Muttersprache, aber ich habe fast nur englischsprachige Musik gehört und dadurch die Sprache im Ohr. Wenn ich im Schauspiel einen Akzent annehmen muss, gehe ich das oft von einer musikalischen Perspektive aus an. Sprache ist für mich auch Musik und darum kann ich mir gut Dialekte aneignen, obwohl ich die Sprache nicht spreche, weil ich sie wie bei einem Song erarbeite und mir die Melodie der Sprache merke, um sie nachzusingen. Darum hilft mir der musikalische Background beim Schauspiel.
TT: Als Musiker kann ich da vielleicht noch eine andere Perspektive einbringen. Ich habe schon mit einigen Sängerinnen und Sängern gearbeitet, aber es hat mich sehr fasziniert, wie Carol automatisch in eine Rolle eintauchen kann. Damit meine ich, dass du dich bei einem fertigen Song extrem auf eine Figur einlassen und alles herausholen kannst. Das ist für mich ein Aspekt, wo das Schauspiel die Musik beeinflusst.
CS: Gut möglich. Wahrscheinlich beeinflusst sich beides automatisch und ich trenne das ja auch nicht bewusst. Oft bekomme ich von aussen die Frage gestellt, ob ich Schauspielerin oder Sängerin bin. Für mich ist beides eine Art von Ausdrucksform und ich gehe recht ähnlich an beide Sachen heran. Bei Musik gehe ich vermutlich theatral ran, weil ich eine Figur haben möchte und mir das Storytelling schon wichtig ist. Umgekehrt will ich im Schauspiel eine Musikalität drin haben.
Wie geht es jetzt weiter? Ist schon weitere Musik geplant oder bleibt es bei einer EP? Spielt ihr Konzerte?
CS: Zuerst soll die EP raus in die Welt und dann schauen wir weiter. Irgendwann setzen wir uns hin und machen neue Musik.
TT: Es gibt noch ein, zwei weitere Songs von der Arbeit an dieser EP, daher haben wir sicher etwas in der Hinterhand und ich hoffe schwer, dass die musikalische Reise weitergeht.
CS: Demos werden bereits hin- und hergeschickt.
TT: Aber live ist nichts geplant. Als Zwei-Kopf-Projekt mit nur vier Songs fehlt schlicht noch das Material.
Mehr Infos:
- Act: Del Fume feat. Carol Schuler
- Aktuelles Album: «Chaos and Closure» (EP)
- Genre: Rock, Pop, Songwriter, New Wave, Synth
- Musik von Del Fume feat. Carol Schuler
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