Wie viel Leben steckt in deinem Traum?

Movie-Kritik: Cortex
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Träume sind unser direktester Zugang zum Unterbewusstsein. Kein Wunder schleichen sich unsere grössten Ängste als Alptraum in unseren Schlaf. Zurück in der Wirklichkeit erhoffen wir uns Zuflucht, aber in unserem Unterbewussten schlummert die Angst weiter, bis zum nächsten Sonnenuntergang. In diesem Teufelskreis steckt Hagen (Moritz Bleibtreu). Seine Furcht: Ehefrau Karoline (Nadja Uhl) verlässt ihn für einen jüngeren Lover. Ganz im Unrecht scheint Hagen dabei nicht. Niko (Jannis Niewöhner), der neuste Patient seiner Frau, entspricht voll und ganz dem Adonis aus Hagens Traum.

 

Moritz Bleibtreu verkörpert das Deutsche Kino wie nur wenige Schauspieler. Von «Knocking on Heavens Door» über «Lola rennt» zu «Lammbock», «Das Experiment», «Soul Kitchen» und «Der Baader Meinhof Komplex» bis zum Musical «Ich war noch niemals in New York» prägte er neue, mutige und gewagte Filmprojekte. Für seinen neusten Film «Cortex» schrieb er das Drehbuch, führte Regie, nahm die Hauptrolle ein und produzierte den Streifen. In feinster Bleibtreu-Manier wollte er neues Material ins deutsche Kino bringen. Einen psychologischen Thriller, der inhaltlich und auch visuell neue Wege eingeht. Sein Vorbild ist dabei unbestritten der britische Filmemacher Christopher Nolan («Inception», «Dark Knight», «Prestige», «Tenet»).


Ein sehr ambitioniertes Vorhaben, zumal es sich um das erste Drehbuch und die erste Regiearbeit von Bleibtreu handelt. Und in gewissen Elementen schafft Bleibtreu das Unmögliche: die Atmosphäre, der Look des Films, die Erzählweise, alles ist sehr stilistisch umgesetzt. Doch dies hat seinen Preis. Während in die Form und Machart viel investiert wurde, scheint die Story als solche noch nicht ganz ausgereift oder nicht enorm komplex zu sein. Es gibt viele Szenen, bei denen man im Nachhinein merkt, dass sie entweder nicht wichtig waren oder uns als Zuschauer nur in die Irre leiten wollten. Klammert man sie aber aus, ist die Story recht kurz erzählt. Deshalb überrascht auch die kurze Spielzeit von nur 82 Minuten nicht. Hier liegt aber der grosse Unterschied zu Nolan: beim britischen Filmemacher ist auch das kleinste Detail für den Erzählstrang unverzichtbar und im Nachhinein setzt sich das komplette Puzzle zusammen. Dieser kleine, aber feine Unterschied scheint Bleibtreu nicht zu stören, wie er uns im Interview verriet. Bleibtreu führt uns als Publikum mit gewissen Szenen sehr bewusst in die Irre, um dadurch umso mehr das bewusste und achtsame Zuschauen zu fördern.

 

Für Fans vom Film Noir ein Muss, für alle anderen ein Sprung ins Ungewisse.

 

  • Cortex (2020)
  • Buch & Regie: Moritz Bleibtreu
  • Besetzung: Moritz Bleibtreu, Nadja Uhl, Jannis Niewöhner
  • Dauer: 82 Minuten
  • Kinostart: 22. Oktober 2020

 

Tanja Lipak / Di, 27. Okt 2020