Intellektueller Porno in 3D oder wie Noé das Ziel verfehlt

Movie-Kritik: Love
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Praesens Film

Gaspar Noé hat den Ruf eines provokanten Indie-Regisseurs. Das liegt an den von ihm inszenierten und ziemlich kontroversen Filmen «Menschenfeind» und «Irreversible». Mit zweiterem wühlte Noé mit einer ohnmächtig langen Vergewaltigungsszene die Filmwelt auf. Bei «Enter the Void» setzte Noé dann eher auf hypnotische Bilder, indem er die Geschichte aus der Perspektive eines Ermordeten erzählte und die volle psychedelische Filmwucht auf die Leinwand brachte. Auch hier spaltete der Argentinier das Publikum. Aber nicht mehr durch brachiale Gewalt, sondern weil der Film ein sehr gemässigtes Tempo hat und Emotionen kontrastiert. Und jetzt kommt mit «Love» der nächste Film von Gaspar Noé auf den Heimmarkt. Noé will auch hier provozieren, schafft es aber nicht. 

Es geht ja auch nicht um wirklich viel im Film: Der Amerikaner Murphy ist Filmemacher und lebt in Paris. Er verfällt der attraktiven und lebenslustigen Electra mit Haut und Haar. Die Geschichte startet jedoch deutlich später, an einem Neujahrsmorgen im Bett mit der harmlosen Omi. Murphy hat sie bei einem Seitensprung geschwängert und lebt jetzt gefesselt zwischen Frau und Kind, trauert den Zeiten mit Electra nach und ja, er bemitleidet sich selbst. Die hedonistische Beziehung mit der rassigen Electra war ein einziger Rausch, so zerbrechlich wie emotional, ähnlich einer Sucht. Und es war Electra, die Omi als Bettgespielin in die Beziehung holte, ein flotter Dreier sollte es sein, und somit den feinen Riss in die Beziehung schlug, der zum Bruch führte. Am erwähnten Neujahrsmorgen bekommt Murphy einen Anruf von Electras Mutter. Sie befürchtet einen Selbstmord. Hat Electra? Oder doch nicht? 

Geschichte nur als Verbindung zwischen Sex-Szenen

 

Was Gaspar Noé mit «Love» will, verschleiert er nicht. Im Gegenteil. Schon nach wenigen Minuten hängt ein Plakat von «Salo -  die 120 Tage von Sodom» an der Wand. Vielleicht eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte, voller Sex und grenzwertiger, menschenverachtender Praktiken. Inszeniert wurde der Film vom italienischen Kultregisseur Pier Paolo Pasolini. «Salo» sollte vor ein paar Jahren in Zürich öffentlich gezeigt werden, wurde aber polizeilich verboten. Das unterstreicht die provokante Kraft, die das Werk bis heute hat. Bei «Love» hängt auch ein Plakat von «Birth of a Nation», den D. W. Griffith 1915 inszenierte und der ebenfalls ein filmhistorisch nicht tadelloses Werk ist, dem aber eher Rassismus und nicht wie bei «Salo» sexuelle Provokation vorgeworfen wird. Mit «Love» haben beide Filme nichts zu tun und doch, zufällig hängen die Poster ganz bestimmt nicht in den Sets. Dafür weiss Noé zu gut, was er will: provozieren. Das wird - zugegeben - geschickt im Subtext angedeutet. 

Aber die Provokation gelingt so gar nicht, denn «Love» verschiesst sein lauwarmes Pulver bereits in den ersten Minuten und bringt den Film und den Protagonist quasi zum Höhepunkt. Man sieht minutenlang, wie Electra es Murphy mit der Hand besorgt und zwar in allen Einzelheiten. Stellt sich die Frage, ob sexuell explizite Darstellungen in Zeiten, in denen Pornografie einen Mausklick entfernt ist, noch verstört. Das haben sich die Macher wohl auch überlegt. Verschachtelt wird die Geschichte erzählt, um den Eindruck eines intellektuellen Dramas zu erwecken, dabei dient die sehr dürftige Geschichte nur als fade Verbindung der Sex-Szenen. Die Charaktertiefe bleibt sehr flach, die Figuren zweidimensional, dabei suggeriert der Off-Kommentar von Murphy etwas von tiefer Liebe. 

 

Noé will verbissen provozieren

 

Aber im Endeffekt geht es nur um errigierte Penisse im Gegenlicht und Ejakulationen direkt in die Kamera. Das ist leider sehr durchschaubar und selbst in 3D wirkt das unheimlich flach. Vielleicht liegt genau hier das Problem, das der Film hat. Noé will offensichtlich ein erotisch-provokantes Werk im Stil von «Eyes Wide Shut» drehen, erreicht dabei aber nie die unterschwellige, subtil bedrohliche Atmosphäre von Neugier und Begierde wie Kubrick es in seinem Spätwerk gelang. «Love» schadet dadurch auch seinen Darstellern, die so gelangweilt agieren, dass sich die Frage aufdrängt, ob sie wohl die einzigen waren, die bereit waren, sich nackt vor die Kamera zu stellen. Aomi Muyock als Electra und Klara Kristin geben gar ihr Spielfilmdebüt. Bleibt für die beiden zu hoffen, dass nicht nur die Sex-Szenen hängen bleiben. 

Die eigentlich kontroverse Frage nach der Visionierung ist eher, weshalb ein Film, der mit gewollt (und eigentlich auch ziemlich konsequenten) provokanten Inszenierungen hausiert, es nicht schafft, beim Zuschauer mehr als ein irritiertes Kopfschütteln zu erzeugen. Die «Generation Porno» braucht mehr als nur nackte Menschen auf dem Screen, das genügt nicht, man will Figuren, die Abgründe verbergen, in die sie jederzeit zu stürzen drohen, denn das erwartet man von Gaspar Noé und einem Film, den er «Love» nennt. Diese Erwartung kann der Film zu keinem Zeitpunkt erfüllen, selbst wenn stilistisch Anleihen und Verneigungen vor den grossen Helden zu erkennen sind und der Film handwerklich solide gemacht ist. Aber man wird den Gedanken nicht los, dass Gaspar Noé so verbissen provozieren will, dass er darüber vergisst, dass er eine Geschichte erzählen will.  

Electra bringt es auf den Punkt: «Ein bisschen Brust, ein bisschen Schwanz.» Mehr ist «Love» nämlich nicht. 

  • Love (Frankreich / Belgien 2015)
  • Regie  & Drehbuch: Gaspar Noé
  • Darsteller: Aomi Muyock, Klara Kristin, Karl Glusman 
  • Laufzeit: ca. 134 Minuten
  • Verkaufstart: 4. Februar 2016

 

 

Patrick Holenstein / So, 07. Feb 2016