Freigeist zwischen zwei Welten

Moviekritik: Binti
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© Trigon Film

Binti ist ein zwölfjähriges lebensfrohes Mädchen, ein kleiner Freigeist, lebt in Belgien und verbringt ihre Zeit am liebsten mit Vlogs im Netz. Quietschbunt und poppig müssen die Videos sein. 1000 Follower hat der Vlog bereits. Dass Binti und ihr Vater Jovial, der im Kongo geboren wurde und heute als Sans Papiers lebt, jederzeit polizeilichen Besuch bekommen könnten, vergisst das aufgeweckte Mädchen durch die Glitzerwelt im Smartphone zu gern. Eines Tages muss sie mit ihrem Vater fliehen und versteckt sich in einem Wald. Dort verläuft sie sich. Auf der Suche nach dem Vater und Schutz vor dem einsetzenden Regen gelangt Binti in ein Baumhaus und trifft dort auf den introvertierten Elias. Er hat es sich die Rettung der Okapi zur Aufgabe gemacht. Um die Tiere aus der Familie der Giraffen zu schützen, bildet er alleine den Okapi-Club. Das Baumhaus ist so etwas wie seine Zentrale. Der junge aus der Mittelschicht und das Mädchen auf der Flucht freunden sich ziemlich schnell an. Als wenig später Elias‘ Mutter Christine nach ihm sucht und sich am Auge verletzt, leistet Jovial sofort erste Hilfe. Durch den Schmerzschrei finden die Kinder ihre Eltern wieder. Christine bietet Binti danach an, bei Elias zu übernachten. Jovial ist skeptisch, kann aber Binti den Wunsch nicht abschlagen. Er findet eine Ausrede und schläft woanders. Nämlich im Baumhaus von Elias, wo der Junge ihn am nächsten Morgen findet und so die Wahrheit erfährt. Allerdings ist es Binti, die Christine wenig später reinen Wein einschenkt. Von da an sind Binti und Jovial eingeladene Gäste in Christines Haus. Elias blüht auf und auch Binti scheint sich im familienähnlichen Konstrukt wohl zu fühlen. Christine und Jovial geniessen die Gesellschaft ebenfalls. Das passt dem Nachbar, der schon länger ein Auge auf Christine geworfen hat, so gar nicht in den Plan.

 

Trailer zu «Binti»

 

Schwierige Themen wie das Leben als Sans Papiers in einen Familienfilm einzuweben ist nicht so einfach und benötigt viel Balancegefühl. Dem an der Berlinale 2020 als «Bester europäischer Kinderfilm» gekrönten Film «Binti» gelingt das Kunststück mit wunderbar. Die belgische Regisseurin Frederike Migom tut das in ihrem Spielfilmdebüt mit sehr viel Weitsicht und elegantem Fingerspitzengefühl. Indem sie Binti die Welt durch ihr Smartphone öffnet, reisst sie Grenzen ein und zeigt Chancen auf. Immer wieder fällt Binti jedoch in die Realität zurück, denn die 12-Jährige ist sich ihrer Situation durchaus bewusst. So stellt der Film Fragen in den Raum. Binti entscheidet sich jedoch oft, lieber zu hoffen und zu träumen. Und in raren Momenten ist ihre wirkliche Welt dann doch besser als jeder Online-Traum. Dabei spielt die Freundschaft zum leidenschaftlichen Okapi-Retter Elias eine grosse Rolle. Die Tiere aus dem Kongo liegen dem Jungen sehr am Herzen. Wobei diese Symbolik beim Schutz von Lebewesen aus dem Kongo geschickt gewählt ist und eine Parallele zu Jovial zieht. Beim Kampf für die Tiere und Likes für Bintis Kanal stellt sich schnell heraus, dass der ruhige Junge und das ständig unter Strom stehende Mädchen im Team hervorragend funktionieren. Die Chemie den starken Kindern funktioniert und die Entwicklung ist plausibel und schön. 

 

Durch die offenen Augen und Herzen der Kinder

 

Der Casting-Quartett um Bebel Tshiani Baloji als Binti und Mo Bakker als Elias und deren Eltern bildet das zentrale Viergestirn des Films. Die Rollen sind clever geschrieben. Keine Sekunde zögert etwa Christine, als sie die Wahrheit über das Vater-Tochter-Gespann erfährt. Solche Momente wären im Film die perfekte Plattform, um eine Moral durchzudrücken, gar den erhobenen Zeigefinger auszupacken. Strenggenommen sind ja Binti und ihr Vater tatsächlich illegal im Land. Regisseurin Migom verzichtet aber darauf und inszeniert das schwierige Thema lieber durch die Augen und offenen Herzen der Kinder. Das Vater und Tochter als liebenswürdige Menschen gezeichnet sind, ist freilich trotzdem ein politisches Statement. Nämlich für die Menschlichkeit. Das Thema wirkt aber nie unglaubwürdig oder dominant. Dafür ist der herzliche Umgang zwischen den Figuren im Film zu gross geschrieben. Man hilft sich, behandelt einander anständig und es scheint, dass sich Probleme wie von selbst lösen. Als Kind soll man sich auch nicht um die Probleme der Welt kümmern, sondern Kind sein dürfen. Egal, ob in der realen Welt oder im Kosmos von Vlogs und kitschigen Filtern.

 

Mit «Binti» gelingt ein Film mit Moral, der nie moralisch ist. Dafür erobert das kindliche Duo die Herzen im Sturm.

 

  • Binti (Belgien 2019)
  • Regie & Drehbuch: Frederike Migom
  • Besetzung: Bebel Tshiani Baloji, Mo Bakker, Joke Devynck, Baloji, Frank Dierens
  • Laufzeit: ca. 87 Minuten
  • Ab 8 Jahren
  • Kinostart: 28. April 2021

 

Bäckstage Redaktion / So, 02. Mai 2021