Drei Frauen und ein Geheimnis

Moviekritik: After The Wedding
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© Ascot Elite Entertainment Group.

Remakes haben es schwer. Von Beginn an sind sie mit der Sinnhaftigkeitsfrage konfrontiert. Warum braucht es eine Neuverfilmung, was bringt sie? Dann folgt die Auseinandersetzung. Was kann, darf, verändert, modernisiert werden und was muss gleichbleiben, damit der Kern enthalten bleibt und der Film auch als Remake Erfolg besitzt. Zu guter Letzt folgt der unausweichliche Vergleich und Konkurrenzkampf mit dem Original, welche Version war besser, die ursprüngliche oder die neue?

 

Bartholomew «Bart» Freundlich, US-Filmemacher und Ehemann von Julianne Moore, ging das Wagnis ein und schuf das US-Remake des dänischen Arthouse-Klassikers «After the Wedding» von 2006. Die Sinnhaftigkeit ist im Falle eines US-Remakes schnell hergestellt. Das durchschnittliche amerikanische Publikum mag keine Untertitel, geschweige denn Filme, deren Sprache es nicht versteht. Somit erscheint es sinnvoll, eine gute und interessante Story neu zu verfilmen. Den grossen Coup und der Grund, weshalb dieser Film trotz brillantem Original sehenswert ist: Bart switched in seiner Version die Geschlechterrollen um. Ein kluger Entscheid, der indirekt auch einen Vergleich zwischen unserer heutigen Gesellschaft und jener nicht allzu entfernten im Jahr 2006 zieht.

 

Worum geht es? Isabel (Michelle Williams) betreut ein Waisenhaus in Kalkutta. Wie bei den meisten Hilfswerken ist das Geld knapp und Investoren fehlen. Als Isabel von der potentiellen Geldgeberin Theresa (Julianne Moore) eine Einladung nach New York erhält, nimmt sie chweren Herzens Abschied von «ihren» Waisenkindern, um in New York die Finanzen zu klären. In New York angekommen, lernt Isabel, dass Theresa sich mitten im Verkauf ihres grossen Media-Imperiums befindet und die Hochzeit ihrer Tochter Grace plant. Viel Zeit bleibt für die Fördergelder nicht. Auf Theresas Drängen hin, nimmt Isabel an Graces Hochzeit teil. Ein Entscheid mit schwerwiegenden Folgen für alle drei Frauen.

 

Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Wie beim Original von Susanne Bier sind es die unvorhersehbaren Story-Wendungen, die den Film Einzigartigkeit verleihen. Kaum ist ein Geheimnis verdaut, kommt die nächste Wendung. Für ein klassisches Melodrama besitzt der Film deshalb recht viel Tempo. Aber auch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Moore und Williams geben diesen Film viel Wert. Die dreidimensionalen Figuren entspringen der Realität und wecken dadurch unser Interesse. Hier münden wir unausweichlich in die Frage, welche Version nun die bessere ist. Zum Glück lässt sich diese Frage nicht so einfach beantworten. Dies liegt darin, dass Bart wirklich nur die Kernstory übernimmt.

 

Kameraführung, Machart, aber auch gewisse Storyelemente (Grace ist wie beim Original nicht endlos glücklich in ihrer frischen Ehe, aber im Remake aus einem anderen Grund). Dies alles führt dazu, dass Bart es tatsächlich gelungen ist, ein wahrhaft gutes Remake zu erschaffen, das die verflochtene Story wiedergibt, aber in einer anderen Perspektive wiedererzählt. Bewegungen wie Metoo und Time’sUp forderten nicht nur eine vom Sexismus befreite Filmwelt, sondern auch eine Filmbranche, in der Frauen nicht nur Film-Dekoration darstellen, sondern auch Figuren mit Macht und Entscheid-Befugnissen verkörpern. In diesem Sinne schafft es Bart gar eine andere Message am Ende des Films zu senden, lediglich durch die umgekehrten Geschlechterrollen. Die Unterschiede zwischen Isabels und Theresas Welt gibt Bart klar wieder. Als Publikum fällt es uns sehr leicht Isabels Distanz zur heilen, reichen Welt von Theresa nachzuempfinden. Zugleich fühlen wir uns, einmal in New York angekommen und mehr mit Theresas Sicht konfrontiert, problemlos in Theresas Herausforderungen ein.

 

Die starken Charaktere, die abwechslungsreiche Story, die unterschiedlichen Perspektiven und die solide Umsetzung zeichnen dieses Filmdrama aus.

 

  • After the Wedding (USA 2019)
  • Regie: Bart Freundlich
  • Besetzung: Michelle Williams, Julianne Moore, Billy Crudup, Will Chase, Abby Quinn, Doris McCarthy, Azhy Robertson, Eisa Davis, Alex Esola, Susan Blackwell
  • Laufzeit: 100 Minuten
  • Kinostart: 17. Oktober 2019

 

Tanja Lipak / Mi, 16. Okt 2019