Die Weltmeere schlagen zurück

Serienkritik: Der Schwarm
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© Intaglio Films und ndF International Production

 

An der Berlinale im Jahr 2018 wurde ein ambitioniertes Projekt aus der Taufe gehoben, erste Gespräche zu einer Adaption von Frank Schätzings Roman «Der Schwarm» fanden statt. Schon länger sollte der Bestseller des deutschen Autors verfilmt werden, galt aber lange als unverfilmbar. Erst als internationale Produktion mit dem ZDF im Lead und in Zusammenarbeit mit Sendern wie Rai, France Télévisions, Hulu Japan, ORF und SRF konkretisierten sich erste Pläne. Möglicherweise spielte der immer grösser werdende Status von Serien eine nicht zu unterschätzende Rolle. Einen so umfangreichen Roman in einen Spielfilm zu verwandeln, wäre sowieso nicht ohne beachtliche Abstriche möglich gewesen. In diesen Tagen startet nun die aufwändige und mit 40 Millionen Budget teuerste deutsche Produktion auch bei Play Suisse und ab dem 6. März als Event-Programmierung zwischen 6. und 9. März linear bei SRF.

 

Fünf Jahre Arbeit

 

Die Handlung setzt im Meer ein, wo schon in den ersten Sekunden ein indigener Mann von einem Schwarm Fische zu Tode gebracht wird. Es ist also früh klar, dass etwas nicht stimmt. Plötzlich greifen Orcas in Vancouver Schiffe an, ein Buckelwal springt gar auf ein Touristenboot und versenkt es. Hummer in Frankreich verspritzen hochinfektiösen Schleim, grosse Freisetzungen von Methan sorgen dafür, dass Schiffe sinken, Muscheln blockieren Schiffschrauben und auf dem Meeresboden werden Würmer entdeckt, die ausserordentlich gross sind, sich schnell vermehren und die Permaeisschicht bedroht. 

 

Die Orcas sind im Angriffsmodus. (©Intaglio Films und ndF International Production)

 

Die junge Doktorandin Charlie Wagner (Leonie Benesch, «Babylon Berlin») wurde nach Schottland strafversetzt und kontrolliert frustriert Messgeräte. Ihr sturer Wille hat ihr das eingebrockt. Doch plötzlich bemerkt sie Unregelmässigkeiten. Allerdings führt sie ein tragischer Zwischenfall zurück ans Institut in Kiel. Gleichzeitig bemerkt der junge Walforscher Leon Anwak (Joshua Odjick, «Three Pines») in Kanada ein wichtiges Detail im merkwürdigen Verhalten der Wale. Dr. Cécile Roche (Cécile de France, «The New Pope») ist in Frankreich mit der Erforschung der Todesfälle rund um die Flüssigkeit aus den Hummern beschäftigt, die inzwischen gar das Trinkwasser vergiftet. Gleichzeitig wird der renommierte Dr. Sigur Johanson (Alexander Karim, «Tyrant») bei der Entdeckung der Würmer zur Expertise gerufen, um sich als Spezialist mit dem Phänomen zu beschäftigen. So trifft er auf seine alte Liebe Tina Lund (Krista Kosonen, «Beforeigners»), was die Arbeit nicht unbedingt einfacher macht. Bald schon entdeckt Dr. Johanson merkwürdige Zusammenhänge. Es scheint fast, als ob die Natur sich zur Wehr setzt. Langsam keimt in den fünf auf der Welt verteilten Hauptfiguren ein Verdacht auf: Greift die Natur gezielt die Menschen an?

 

Menge an Fakten erdrückt nicht

 

Schon der 1000 Seiten starke Roman nimmt sich viel Zeit, um die Bedrohung aufzubauen. Die Serie nutzt diesen Kniff ebenfalls. In angenehmem Tempo lernen wir die Figuren kennen, sehen wie sich die Bedrohungen auswirken und wie die Situation global zusammenspielt. Das ist schlau, denn es sind einige Charaktere und Informationen, die für die Geschichte relevant sind, und so darf man sie langsam kennenlernen. Beispielsweise erfährt man mehr über die Gedanken und Lebensumstände von Leon Anwak, dem Wahlforscher, der zwischen indigenen Traditionen und der Moderne seiner Heimat Vancouver Island pendelt. Erzählerisch macht das Sinn, erlaubt ein entspanntes Ankommen im wichtigen Grundthema und man wird nicht sofort mit gnadenlos vielen Fakten erdrückt.  

 

Die Ruhe vor dem Sturm auf dem Forschungsschiff Juno. (©Intaglio Films und ndF International Production)

 

Überhaupt sind die wissenschaftlichen Fakten so eingeführt, dass man sie leicht versteht und in die Geschichte eintauchen kann. Dafür wurde die Crew von Prof. Dr. Antje Boetius fachlich beraten. Sie ist Polar- und Tiefseeforscherin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. So entsteht eine gute Portion Glaubwürdigkeit im Öko-Thriller. Sie sieht noch einen wichtigen Aspekt: «Die Serie «Der Schwarm» schafft einen spannenden fiktionalen Rahmen für die Arbeit von Klima- und Meeresforschenden: Aus neu errungenem Wissen über den Ozean müssen so schnell wie möglich Lösungen entstehen, um Katastrophen zu vermeiden. Frank Schätzing hat genau das in seinem Bestseller «Der Schwarm» schon 2004 eindrücklich vermittelt: Wir Menschen müssen lernen, mit dem Meeresleben zu kooperieren, anstatt es zu vernichten.»

 

Produzent von «Game of Thrones»

 

Optisch darf sich die Serie zeigen, sieht meistens bestechend gut aus. Etwa wenn Leon mitten in eine Gruppe schlafender Wale taucht, um an einem der Tiere eine Kamera anzubringen. Davon verspricht er sich Erkenntnisse zum Verhalten der Wale. Auch wenn die Szene im Meer natürlicherweise etwas dunkler ist, sieht sie beeindruckend aus. Das Kreativteam hinter «Der Schwarm» wurde von Frank Doelger als Showrunner angeführt. Er hat einiges an Erfahrung, etwa als Teil des Produzententeams hinter «Game of Thrones». Ihm war wichtig, dass die Botschaft des Romans erhalten bleibt. Gleichzeitig sollen die acht Folgen für alle funktionieren: «nicht nur für diejenigen, die den Roman gelesen haben, sondern auch für diejenigen, die ihn nicht kennen», erklärt Frank Doelger. Die Ausbeutung der Natur ist weltweit ein Thema und so ist das Kernthema von Schätzings Roman heute aktueller denn je. «Der Schwarm» widersteht aber der Versuchung, andere Elemente wie Social Media einzubauen und bleibt bei der ursprünglichen Botschaft. Irgendwie angenehm, dass nicht überall gestreamt oder gepostet und jede Theorie gleich um die Welt geblasen wird, sondern das Problem durch die Wissenschaft ergründet wird. Das kann man durchaus als Bekenntnis gegen die postfaktischen Entwicklungen sehen.

 

Ein Meereswurm wird seziert. (©Intaglio Films und ndF International Production)

 

Gedreht wurde an aufwändigen Sets. Beispielweise in Brüssel, wo ein grosser Wassertank Teil des Sets war. Für ihre Szenen hat Leonie Benesch einen Kurs in Apnoetauchen gemacht. Schliesslich sollte sie für eine Szene 10 Meter tief unter Wasser gezogen werden. Der Dreh sei wahnsinnig anstrengend gewesen, habe aber auch sehr viel Spass gemacht, erzählt Benesch. Das Forschungsschiff, das unter der Leitung von Jasper Alban (Oliver Masucci, «Dark») fährt und mit Hilfe von Tiefsee-Tauchbootfüher Luther Roscovitz (Klass-Heufer Umlauf) an der Lösung der Rätsel beteiligt ist, stand dagegen in der Hitze von Rom. Die Szenen in der Arktis wurden so bei 40 Grad gedreht; inklusive Rollkragenpullover an Deck. «Da kam keine Klimaanlage hinterher …», erzählt Oliver Masucci.

 

Hitze und Wassertanks bei Dreharbeiten

 

Als der Roman vor knapp zwanzig Jahren erschien, waren Gruppen wie Fridays for Future noch kein Thema. Es wäre bei der Umweltthematik irgendwie nachvollziehbar gewesen, aktuelle Elemente einzubauen. Man hat sich dagegen entschieden. Das könnte sich als schlau erweisen, da niemand weiss, wie sich soziale Bewegungen in Zukunft entwickeln. Die Serie bleibt so zeitlos, verlässt sich auf den hervorragenden Cast, fokussiert auf die Geschichte, die im Grunde genug kritische Punkte anspricht, und genau so bleibt sie aktuell. Selbst wenn Romanautor Frank Schätzing inzwischen öffentlich Kritik äussert und «Der Schwarm» mit Rosamunde Pilcher vergleicht. Ob er richtig liegt oder eher eine PR-Inszenierung dahintersteckt, kann ab sofort selbst beurteilt werden. In den drei Folgen, die der Redaktion vorab zur Verfügung standen, geht die Tendenz klar Richtung Thriller und die Neugier, wie sich die Geschichte entwickelt und wie sie sich vom Roman unterscheidet, ist geweckt.

 

Die ersten drei Folgen versprechen spannende Unterhaltung mit wichtiger Botschaft. Die Erwartungen sind gross und «Der Schwarm» kann bis jetzt diesen gerecht werden. 

 

- Ab 22. Februar 2023 ist «Der Schwarm» bei Play Suisse zu sehen. 

- Zwischen 6. und 9. März läuft die Serie linear bei SRF.

 

  • Der Schwarm
  • Drehbuch: Steven Lally, Marissa Lestrade, Chris Lunt und Michael A. Walker
  • Romanvorlage: Frank Schätzing
  • Regie: Luke Watson (Folgen 1, 2), Barbara Eder (Folgen 3, 4, 5, 6), Philip Stölzl (Folgen 7, 8)
  • Besetzung: Alexander Karim, Cécile de France, Leonie Benesch, Joshua Odjick, Krista Kosonen, Oliver Masucci, Klaas Heufer-Umlauf
  • Laufzeit: 8 Folgen à ca. 45 Minuten
  • Ab 22. Februar 2023 bei Play Suisse

 

Alle Bildcredits: © Intaglio Films und ndf International Production für ZDF, France Télévisions, Rai Fiction, Viaplay Group, Hulu Japan, ORF, SRF/Play Suisse

 

Bäckstage Redaktion / Mo, 20. Feb 2023