Ein Denkmal in Buchform

Buchkritik: Abart / Jan 1998 - Dez 2012

Da liegt also das Buch auf dem Tisch, diese 152 Seiten, die es gar nicht geben dürfte. Das Buch dürfte nicht existieren, weil das Abart schlicht für die Ewigkeit hätte bestehen müssen. Der Club an der Manessestrasse, Zufluchtsort für Technogeschädigte Ende der 90er, war unmittelbare Musikgeschichte und Lebensader in der grössten Stadt der Schweiz, lockte musikbegeisterte Menschen sogar vom nahen Ausland nach Zürich, war wahr gewordener Traum einer Gruppe enthusiastischer Menschen, die an eine Idee glaubten. Und jetzt ist diese Idee mit Sylvester 2012/13 endgültig vorbei, musste dem Bauwahn, der in Zürich grassiert, weichen. Das grosse A auf dem Rückdeckel des Buches zeugt vom Status, den der Club hatte. Der Buchstabe besteht nämlich aus allen Bands, die jemals im Abart auf der Bühne standen und entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Who-Is-Who der nationalen und internationalen Musikszene. Die Toten Hosen, Muse, Queens Of The Stone Age, Ian Brown, Madrugada, Sigur Ros, Redwood, Snitch oder Amy Macdonald. Alle waren sie da, alle haben sie den Club an der Sihl geliebt. Das Abart hat sich durch das frühe Erkennen von Bands mit Potential einen respektablen Ruf geschaffen. Sogar Coldplay sollten einst im Abart spielen, was aber dann doch nicht geklappt hat. 

 

So, das Kapitel Abart schliesst sich, fast wie bei einem modernen Märchen, und während des Lesens im Buch, das die 15 Jahre, in denen der Club Menschen glücklich gemacht hat, zusammenfasst, brechen die Erinnerungen immer wieder aus, suchen sich ihren Weg zu den eigenen Erlebnissen im Abart und man denkt daran, wen man alles auf der eckigen Bühne erlebt hat. Etwa Band of Horses, die statt Pause vor der Zugabe zu machen, lieber on stage blieben und ein Bier tranken, weil sie nicht in die Kälte wollten. Oder an Fran Healy, der ohne seine Travis während weit über zwei Stunden die Menschen glücklich machte, indem er Geschichten erzählte und Wünsche erfüllte. Glasvegas, die mit dem zweiten Album ein schreckliches Konzert spielten oder die Dandy Warhols, die so heiss rockten, dass kein Hemd trocken blieb. Ja, das Abart ist Geschichte, das lässt sich nicht mehr ändern. Umso schöner, dass Oli Zemp und Christian Gremelmayer sich die Zeit genommen haben und die vergangenen 15 Jahre Revue passieren liessen, um ein Buch auf Crowdfunding-Basis auf die Beine zu stellen. 

 

Das Abart in den kulturellen Strömungen Zürichs

 

Schlicht «Abart – Jan 1998 – Dez 2012» steht ohne viel Pathos auf dem Cover. Dafür ist der Inhalt ein kleiner Schatz, gefüllt mit Abbildungen von Flyern und Konzerttickets oder von Gästebucheinträgen der Bands von Muse bis Sportfreunde Stiller. Man bekommt Bilder aus dem Allerheiligsten, dem Backstagebereich, zu sehen und natürlich darf die berühmte «Wall Of Fame» in der Garderobe auf keinen Fall fehlen. Es kommen Weggefährten wie Dani Beck oder Blago, der jahrelang die Reste jeder Party zum Verschwinden brachte, zu Wort und viele Kleinigkeiten zaubern ein Lächeln auf das Gesicht des Lesers. Etwa die Geschichte der legendären Indiependance-Party oder Stories über vermeintlich schwierige Musiker, die dann doch wie zahme Lämmchen waren. 

 

Oli Zemp, der die Texte für das  Buch geschrieben hat, gelingt es, die lebhafte Geschichte des Abarts jeweils in den Kontext zu den Strömungen, die Zürich erlebte, zu setzen. Er schreibt herrlich unaufgeregt und ohne Frust im Bauch. Er schildert einfach, was in 15 Jahren passiert ist. Dabei wird chronologisch von der Eröffnung bis zur unvermeidlichen Schliessung abgearbeitet. So kann man als Leser die Entwicklung des Musikclubs wunderbar nachvollziehen und sieht, was passiert ist, bevor man selbst ein Teil des Abart-Universums wurde. Oli verrät Anekdoten, plaudert aus dem Nähkästchen, erzählt aber auch von Problemen, die immer wieder auftauchten, erklärt, wie sich die Musikszene über die Jahre verändert hat und vergisst auch nicht die Weggefährten und Musiker, die gestorben sind. Dazwischen werden Fakten und Gedanken gestreut, die quasi zwischen den Zeilen funktionieren. Für die Gestaltung zeigen sich Pascal Kehl und Marcel Blaser verantwortlich. Die beiden Grafiker haben einen brillanten Job gemacht und fein säuberlich aus tonnenweise Material Collagen erstellt und grafische Stimmungsbilder eingefangen. So gelingt allen Beteiligten ein Buch, dass nicht nur die Geschichte eines legendären Clubs festhält, sondern allen Abartgängern ermöglicht, ihren Club immer und immer wieder in Bild und Text und in den eigenen Erinnerungen zu erleben. 

 

Das Buch ist genau so wie das Abart immer war. Unaufdringlich, im besten Sinne durchgeknallt, familiär und mit einem guten Schuss Selbstironie versehen. Kurz gesagt: ein würdiges Denkmal in Wort und Bild für den vielleicht besten Club, den Zürich je hatte. 

 

  • Abart / Jan 1998 - Dez 2012
  • Gebunden, 152 Seiten
  • durchgehend vierfarbige Abbildungen, 23 x 28 cm
  • Preis:CHF 48.00
  • ISBN 978-3-905801-88-0
  • Informationen: Salis Verlag
Patrick Holenstein / Mi, 10. Apr 2013