Vom Glück und Unglück einer Prostituierten

Buchkritik: Freudenfrau von Susanna Schwager
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www.woerterseh.ch

Schauplatz Zürich in den Achtziger Jahren: Die Stadt der Superreichen offenbart ihre Schattenseiten im neusten Werk der Schweizer Autorin Susanna Schwager. Ein Buch, das eigentlich nur aus Monologen besteht, erzählen tun nur wenige Personen. Dies dafür sehr ausführlich.

 

Von St.Gallen nach Nordafrika

Hedy, die Protagonistin, ist eine Prostituierte im Zürcher Niederdorf. Sie ist eine selbstbestimmte, quirlige Persönlichkeit, die stets genau weiss was sie will und sich nur an ihre eigenen Regeln hält. Ihre Kindheit verbrachte sie in St.Gallen und besuchte später das Internat der Baldegger Schwestern in Hertenstein am Vierwaldstätersee, wo sie eine strenge schulische Erziehung genoss. Die Zukunft brachte allerdings nicht das, was Eltern und Schule für Hedy vorgesehen hatten. Sie verliebt sich in einen wohlhabenden Araber und entschliesst sich in den Maghreb zu ziehen. Allerdings zerbricht die Beziehung nach einigen Jahren, unter anderem weil ihr unbändiger Charakter nicht mit den Wertvorstellungen des Ehemanns in Einklang zu bringen ist. Hedy flieht mit ihrem Kind zurück in die Schweiz.

 

Ich hatte Glück.

 

 

Die neue Perspektive

Nebst Geldnöten kämpft sie um das Sorgerecht. Die Prostitution bietet ihr eine Perspektive. «Ich musste einfach mehr Geld einnehmen, viel mehr Geld!» Ihre Kunden wählt sie allerdings immer mit Bedacht. Hedy ist der Boss. Ihre selbstbestimmte Art bringt ihr den Übernamen «Rote Zora» ein, unter dem sie bald in ganz Zürich bekannt ist. Von Zuhältern will sie nichts wissen. Damit beginnt das grosse Drama. Von einer sechsköpfigen Bande wird sie brutal vergewaltigt, verstümmelt und gefoltert. Erzählt wird dies nicht von der roten Zora selbst, sondern vom Polizisten Werni Freudiger, der in seiner Dienstzeit einen engen, freundschaftlichen Kontakt zu Hedy pflegte. Nur durch Zufall überlebt die Prostituierte und kämpft sich zurück ins Leben. «Ich hatte Glück», stellt sie immer wieder während des Erzählens fest. Die schrecklichen Geschehnisse überspielt Hedy, sie redet lieber über schöne Dinge. «Das andere habe ich vergessen.»

 

Lebendige Monologe

«Freudenfrau» wird in Monologen erzählt. Die Geschichte wird ausschliesslich von der roten Zora, Polizist Freudiger, dem betagten Päuli und mit Hilfe einiger Zeitungsartikel erörtert. Den einzelnen Figuren wird stets genug Platz eingeräumt, um ihre Sichtweise der Geschichte exakt zu erläutern. Davon lebt das Buch: Es schildert eine Geschichte, nämlich die der Roten Zora, aber aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Wertungen. Von Hedy wird meist positiv geredet, am kritischsten ist sie mit sich selbst. 

 

Tu as la force d’un homme!

 

 

Susanna Schwager hat die einzelnen Stimmen perfekt eingefangen und lässt sie für sich selbst sprechen. Die Autorin rückt in den Hintergrund. Sehr erfrischend ist auch der kurzweilige Schreibstil. Die Sätze sind immer wieder von schweizerdeutschen Ausdrücken gespickt, welche ganz am Schluss im «unvollständigen Glossar» erklärt werden. «Edy, du bist keine Frau. Tu as la force d’un homme!», sagte ein charmanter arabischer Minister einst zu Hedy. Sie fasste es als Kompliment auf. «Freudenfrau» ist weder Prostitutionskritik noch Emanzipationsroman. Das Buch erzählt lediglich die Geschichte einer starken Frau.

 

o   Freudenfrau – Die Geschichte der roten Zora von Zürich

o   Autorin: Susanna Schwager

o   Verlag: Wörtherseh

o   ISBN: 978-3-03763-050-1

o   : Im Handel erhältlich

Matthias Niederberger / Mo, 01. Dez 2014