Die Identität des Tänzers

Interview mit Ioannis Mandafounis
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Pressebild: ©Gregory Batardon

Aufgrund der Covid19 Pandemie konnte die 17. Ausgabe von Steps im Frühling 2020 nicht wie geplant durchgeführt werden. Ab Herbst gehen vier Koproduktionen nun dennoch in der ganzen Schweiz auf Tournee. Bäckstage wird berichten.

 

«Wer bin ich, woher komme ich und wohin will ich?» Diese Fragen haben die künstlerische Leiterin Isabelle Spirig bei der Programmgestaltung für die aktuelle Ausgabe von Steps inspiriert. Auch in der Koproduktion von Ioannis Mandafounis, der am kommenden Samstag, 17. Oktober im Luzerner Theater die spezielle Steps-Ausgabe 2020 eröffnet, sind diese Fragen präsent. Der 2015 bei den Schweizer Tanzpreisen als herausragender Tänzer ausgezeichnete Grieche, der sich auch als Choreograf einen Namen gemacht hat, studierte für «Faded» mehrere sehr anspruchsvolle Soli aus bekannten Ballettwerken ein und ehrt damit seine künstlerischen Wurzeln. Wir haben Ioannis Mandafounis ein paar Fragen gestellt:

 

Ioannis Mandafounis – Sie sind in Athen geboren, leben heute in Genf und sind als Tänzer viel unterwegs. Was bedeutet Ihnen Ihre griechische Abstammung?

 

Eigentlich habe ich immer zwischen zwei Ländern gelebt. Bis ich 3 Jahre alt war in Griechenland, dann von 3 bis 7 in Genf und dann eine Zeit lang wieder in Griechenland, bevor ich mit 14 Jahren in Paris mit dem Tanzstudium begann. Ich habe also diese schizophrene, doppelt verwurzelte Geschichte, die ich nun mein ganzes Leben lang mit mir herumtrage. Eine Zeit lang fühlte ich mich mehr als Grieche denn als Schweizer, das ist wahr, und diese Wurzeln bedeuteten mir sehr viel. Sicher ist, dass ich mich in der Schweiz auf eine Weise zu Hause fühle, wie ich mich in keinem anderen Land je gefühlt habe. Ich habe sie als meine Heimat gewählt, ich liebe meine Freunde hier und meine Schweizer Familie ist in meinem Leben hier wirklich präsent. Ich bin mehr als dankbar für all die Dinge, die ich hier erreichen konnte, die sonst nirgendwo anders möglich wären. Die Schweiz hat mich zu 100% willkommen geheissen.

 

Ihre ersten Tanzstunden haben Sie in Griechenland genommen, sind dann aber nach Paris gezogen, um dort am Konservatorium weiter zu studieren. Wie hätte sich Ihre künstlerische Karriere in Griechenland weiterentwickelt?

 

Das ist richtig. Ich erinnere mich noch heute an den Geruch dieses Studios. Wenn ich mehrheitlich in Griechenland gelebt hätte, wäre ich sicher auch sehr glücklich geworden. Aber das Leben hat für mich einen anderen Weg gewählt, und ich habe ihn so akzeptiert.


Da das Ballett in Griechenland eine sehr kurze Geschichte hat, und die Griechen noch nicht über ein hohes technisches Niveau verfügen und auch nicht die Mittel haben, um das zu erreichen, was andere Länder in der klassischen Technik erreicht haben, hätte ich mich vermutlich früher dem zeitgenössischen Tanz zugewandt. Den Griechen ist es gelungen, viel Erfahrung zu sammeln und den zeitgenössischen Tanz in kurzer Zeit auf ein sehr hohes Niveau zu bringen. Das ist wirklich beeindruckend.

 

Haben Sie gelegentlich Heimweh?

 

Nicht mehr, das kommt nur noch selten vor … und es hat mehr damit zu tun, dass mir die Nähe einiger enger Freunde fehlt, als dass ich Griechenland selbst vermissen würde. Heimat ist für mich seit einiger Zeit die Schweiz, und wenn ich das, was wir «Heimweh» nennen, verspüre, dann ist es meistens dann, wenn ich Seen, Berge und Paprika Zweifel Chips vermisse. Die sind einfach unschlagbar!

 

Weshalb haben Sie sich für die Soli entschieden, welche Sie für die Koproduktion mit dem Migros-Kulturprozent einstudiert haben?

 

Nachdem ich die Herausforderung angenommen hatte, einen Ballett-/Repertoireabend zu kreieren, beschloss ich, zuerst diesen Marathon von 9 Variationen Rücken an Rücken zu tanzen. Als Herausforderung und auch, weil dies meines Wissens in der langen Geschichte des Balletts noch nie vorgekommen ist. Ein Verrückter, der versucht, ein Iron Man-Ballett zu choreographieren… Diese Idee fand ich von Anfang an aufregend. Dann wählte ich Variationen, die nicht so bekannt sind. Normalerweis kriegt das Publikum nicht mit, was wir als Tänzer auf der Bühne wirklich durchmachen, aber genau das möchte ich auch zeigen.

 

Ausschnitte aus dem Programm «Faded», das Ioannis Mandafounis am Steps aufführen wird. (©Elina Giounanli)

 

Wir kämpfen im Moment im Kollektiv und als Individuen mit verschiedenen einschneidenden Problemen wie der COVID19-Pandemie oder rassistischen Ausschreitungen. Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um?

 

Ich arbeite täglich weiter daran, mein Tanztraining so gut wie möglich zu machen und meine Energie auf dem höchsten Niveau zu halten, das ich erreichen kann. Ich versuche, mich auf die tief verwurzelten Dinge zu konzentrieren, die ich empfinde, um nicht in Verzweiflung und Wut über all das, was passiert, zu verfallen. Ich glaube an unsere alltäglichen Handlungen als eine Möglichkeit, voranzukommen und mit unserer Umgebung zu teilen, was uns etwas bedeutet. Wie ich es auch schon seit vielen Jahren im Tanz-Studio erlebe, können kleine Erkenntnisse eine grosse Wirkung haben und ganz überraschend viele Dinge in uns und um uns herum verändern. Durch die Addition unserer Persönlichkeiten entsteht in dieser Zeit der Menschheitsgeschichte eine neue Gemeinschaft.

 

Sehen Sie in der Globalisierung Chancen oder bringt sie nur Negatives?

 

Ich denke, unser Kampf hat nicht mit der Globalisierung an sich zu tun, sondern eher mit unserem eigenen Bewusstseinsstand und unserer menschlichen Evolution. Stellen Sie sich zum Beispiel vor – und natürlich ist das ein utopischer Gedanke –, wir Menschen würden in Frieden zusammenleben und uns gegenseitig unterstützen. Stellen Sie sich vor, wir würden einander alles Gute gönnen. Themen wie Eifersucht, Wettbewerb, persönliche Bedürfnisse, usw. würden nicht unsere Alltagsleben bestimmen… Stellen Sie sich vor, die Grundbedürfnisse für ein menschenwürdiges Leben wären überall gedeckt und wir könnten uns deshalb in andere Richtungen entwickeln und uns auf andere Arten der Persönlichkeits- und Gemeinschaftsentwicklung konzentrieren. Dies wäre eine völlig andere Definition und Realität der Globalisierung. Wenn wir von der Realität sprechen, in der wir heute leben, und davon, was Globalisierung heute ist, können wir uns eine solche utopische Welt nicht einmal vorstellen! Wir neigen dazu, Ideen wie die Globalisierung in einer kurzfristigen Definition zu sehen. Wir beurteilen sie aus der Perspektive einer menschlichen Lebensspanne. Ich glaube, dass wir so viele Ideen falsch einschätzen. Die Globalisierung ist eine langfristige Vision, die in einigen tausend Jahren eine Realität sein könnte, in der man gut leben kann. Bis dahin wird sie uns natürlich sehr viel abverlangen.

 

Welche Künstler inspirieren Sie?

 

Viele Künstler inspirieren mich aus verschiedenen Gründen. Besondere Verehrung bringe ich zwei bildenden Künstlern entgegen: Jackson Pollock, weil er meiner Meinung nach ein grossartiger Improvisator ist, und Aernout Mik, weil er es schafft, uns die Dinge auf eine ganz andere Art und Weise sehen zu lassen. Fast wie ein Illusionist, der durch Bilder Sinnestäuschungen in unserem Verstand hervorruft.

 

Ich habe gelesen, dass Sie die Bühne verlassen wollen. Was bedeutet das für einen klassischen Tänzer? Wie wird sich Ihr Leben verändern?

 

Um die Wahrheit zu sagen, ich bin kein klassischer Tänzer. Ich habe soeben ein Stück choreographiert, in dem ich eine «Ironman-Ballettaufführung» tanze, aber diese Dosis macht mich nicht zu einem klassischen Tänzer. Ich denke, dass das Ende einer Bühnenkarriere in einem Tanzstil, der so viel von einem Körper verlangt, wie es das klassische Ballett tut, unweigerlich durch die Zeit gegeben ist. Das Ende dieses Lebens, der spezifischen Fähigkeiten, für die wir lange hart trainieren, des täglichen Kampfes, des Schmerzes, aber auch der Freude, braucht unglaublich viel persönliche Arbeit, um richtig akzeptiert werden zu können. Ein Freund von mir, der vor einigen Jahren seine Tanzkarriere beendete, sagte mir, dass es etwa 3 Jahre dauert, bis man wieder in den «normalen Körper eines Menschen» zurückkehren kann. Ich hoffe, dass es bei mir keine 3 Jahre dauert, bis ich morgens aufwachen kann, ohne all diese körperlichen Schmerzen zu haben, und dass ich in der Lage sein werde, weiterhin als Choreograf zu arbeiten.

 

Besten Dank für die Beantwortung meiner Fragen und viel Freude und Erfolg auf der Steps-Tournee.

 

Wer dieses Interview lieber im englischen Original liest, findet es hier

 

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Info-Box:

 

Steps-Vorstellungen in der Saison 2020/2021 in der Spielzeit 2020/2021

 

Nach der Absage der 17. Ausgabe unserer Biennale im Frühling warten ab Herbst Höhepunkte des zeitgenössischen Tanzes auf das Publikum. Vier unterschiedliche, aber gleichsam inspirierende Koproduktionen des Migros-Kulturprozent Tanzfestivals Steps gehen auf Tournee in der Schweiz – für einmal nicht während 24 Festivaltagen, sondern verteilt über die ganze Theatersaison 2020/2021.

 

- «Faded» von Ioannis Mandafounis macht den Anfang am 17. Oktober und wird bis 22.Mai 2021 zu sehen sein.

 

Weitere Koproduktionen:

- «I am who I am who I am» von Tanz Luzerner Theater (Uraufführung am 28. Oktober im Südpol LU mit Vorstellungen bis 5. November)

- «Nothing Left» von Tabea Martin (Uraufführung am 28. November in der Kaserne Basel mit Vorstellungen bis16. Juni 2021)

- «LUDUM» von der Anton Lachky Company (Schweizer Uraufführung am 8. April bis 1. Mai2021)

 

Infos unter www.steps.ch

Tickets: Programm

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Yolanda Gil / Do, 15. Okt 2020