Chicago nicht zu spielen, wäre verantwortungslos
Clueso spielte am Stimmen Festival 2012 in Lörrach (DE). Bäckstage traf den Deutschen Singer/Songwriter vor Ort zu einem Gespräch.
Hast du etwas, über das du gerne reden möchtest?Mit mir kann man gut über Musik reden.. oder über die Schweiz!
Die Schweiz!
Das Image der Gemütlichkeit stimmt auf jeden Fall. Alles ist da ein bisschen langsamer. Und mir gefällt, dass die Schweiz facettenreich ist. Es gibt eine Indie Szene und eine extreme alternative Szene, weil es wohl auch so eine extreme Schickimicki Szene gibt. Wenn man Musik macht, muss man sich also den passenden Club aussuchen, um das entsprechende Publikum zu haben. Das ist in Deutschland etwas anders.
Meine Band existiert länger als die Beatles je existiert haben
Dein Namensgeber Inspektor Clouseau ist eine tragisch-komische Figur, die immer alles perfekt machen möchte und dadurch von einer in die andere Katastrophe schlittert. Was war deine letzte Katastrophe?(Clueso überlegt lange und sagt dann überzeugt): Meine letzte Katastrophe ist mein letztes Album. Nicht vom Produkt her, aber von der ganzen Entstehungsphase. Das war wirklich eine schwierige Zeit. Wir hatten ein Release-Datum gesetzt, wodurch wir enorm unter Druck gerieten. Erschwerend kam hinzu, dass wir live gerade auf einer Erfolgswelle surften. Da weiss man, alle Augen sind auf einen gerichtet. Die Band und ich hatten auch sonst gerade eine kleine Identitätskrise. Wir kennen uns schon enorm lange, sind aber keine klassische Band, die in der Garage gross wurde. Da stand immer der Clueso vorne und wir existieren schon länger als die Beatles je existiert haben. Zu der Zeit hingen einige Fragezeichen über uns: Was ist eigentlich Clueso, was ist Clueso und Band? Jetzt, wo wir praktisch einen zweiten Frühling erleben und ich viel Platz lasse für die Band und unsere Energie cool finde, läuft’s wieder super rund. «An und für sich» war schon eine Bastelei. Ich finde, es klingt auch ein bisschen traurig irgendwie. Das Album hat eine Melancholie, die über jene der Texte hinausgeht.
Und wisst ihr jetzt, was ihr seid?Nein, wissen wir nicht (lacht). Wir sind einfach Clueso und Band. Immer, wenn wir in dieser Formation zusammenkommen, sind wir Clueso und Band und nicht einfach nur Clueso.
Du hast mal gesagt, dass dein letztes Album mehr Thomas Hübner und weniger Clueso sei. Vorhin hast du die Melancholie von «An und für sich» angesprochen. Ist Thomas Hübner also ein melancholischer Mensch?
Nein, gar nicht. Das Gefühl ist melancholisch, ja. Aber wie ich singe und die Styles auf dem Album, die wollen nicht gefallen.
Clueso will gefallen?Nein, Clueso will nicht gefallen. Aber er hat angefangen, um zu gefallen und hat angefangen Styles auszuprobieren, sich nach Vorbildern zu richten und zu kopieren, zu basteln, zu ziehen und zu drücken. Und auf dem Album gibts davon wenig. Es gab keine Vorbilder, keine CDs, die ich gehört habe, sondern im Prinzip hat sich der Thomas rangesetzt und Musik gemacht und wollte nur, dass es ihm gefällt. Deshalb ist es mehr Thomas als Clueso, der angefangen hat Musik zu machen und niemand wusste, wo die Reise hingeht, was ist das für ein Stil. Auf dem Album ist diese ganze Suche nicht da, ich habe die Songs einfach kommen lassen.
Auf der Bühne habe ich auch eine schamanische Aufgabe
Deine Songs sollen Fragen aufwerfen. Was fragst du dich gerade?(überlegt lange) Man stellt fest, dass man immer wieder in dieselben Fallen tappt. Auch wenn ich sie jetzt nicht genau benennen kann. Mit dem Älterwerden checkt man zwar Dinge schneller, trotzdem läuft man im Kreis. Der Kreis ist halt nur grösser. Ich frage mich, wie das in Zukunft aussehen wird. Ob man gelassener wird, ob sich das wirklich ändert.
Du giltst als Perfektionist. Wie bringst du diese Eigenschaft mit der Schnellebigkeit des Musik-Business und der Erwartungshaltung deiner Fans unter einen Hut?Ich achte darauf, dass wir kein Image kreieren, aber dass das Image, das nach Aussen kommt sich auf jeden Fall mit meinem aktuellen Zustand deckt. Ich überleg schon, wie sieht der Clueso von heute aus, wie würde ich den wahrnehmen? Wie fühle ich mich im Moment? Wenn ich merke, dass ich zu wenig Zeit für eine Aufgabe habe, fühle ich mich nicht wohl. Ich bin so zu Hause in der Musik, dass ich zwar einen stressigen Job habe, aber nicht oft krank bin. Wenn ich etwas abgeben müsste, was mich nicht zufrieden stellt, würde ich innerlich krank werden. Ich nehme mir deshalb immer für alles die Zeit - und bleibe dafür gesund.
Deine Fans verlangen immer nach deinem grössten Hit «Chicago»..In der Zwischenzeit sehe ich das recht entspannt. Wenn man auf der Bühne steht, hat man auch so was wie eine schamanische Aufgabe. Die Leute kommen, um sich zu entlasten und fühlen sich im besten Fall befreit, wenn sie nach Hause gehen. Da wäre es fast schon verantwortungslos, einen Song wie Chicago nicht zu spielen. Wenn ich aber mit dem Jazz-Trio unterwegs bin, probieren wir mehr andere Sachen aus. Die Kollegen wollen dann auch keinen Pop spielen.
Am anschliessenden sehr gut besuchten Konzert zeigten sich Clueso und Band nicht nur verantwortungsbewusst, sondern vor allem auch abwechslungsreich. Das Set eröffneten sie mit «Keinen Zentimeter» und spielten sich dann von Hit zu Hit. Das mehrheitlich weibliche Publikum genoss den lauen Sommerband und die gefühlvolle Stimme Cluesos, die perfekt von seiner gut eingespielten Band begleitet wurde.
Der Posaunist sorgte mit seinen Soli immer wieder für Gänsehaut-Feeling, aber auch die anderen Musiker unterstrichen mit ihren instrumentalischen Darbietungen das hohe Niveau, auf dem sich die Band befindet. Sie überzeugten mit gekonnten Variatonen wie z.B. bei «Vergessen ist so leicht», das sie als gelungene Reggae-Version arrangierten, während Clueso bei «Beinah» mit Beatboxen für Stimmung sorgte.
In ständiger Interaktion mit seinem Publikum, holte sich der Erfurter zu «Du bleibst» gar weibliche Unterstüzung, die sich über das Tänzchen mit dem Sänger sichtlich freute. Bis zum Klassiker «Chicago» mussten sich die Angereisten bis zur Zugabe gedulden. Dafür erhielt Clueso dann stimmgewaltige Unterstützung aus den Zuschauerrängen, die dem Namen Stimmen Festival nochmals eine ganz neue Bedeutung gab. Bock zu gehen hatte am Ende niemand, aber Clueso ist ja bald wieder in der Nähe: Er spielt am 26. August am Zürich Openair.