The Gaslight Anthem: Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof

Interview / Konzertkritik:The Gaslight Anthem
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Alex Lim

Für ein einziges Schweizer Konzert auf ihrer aktuellen Tour war die amerikanische Punk-Rockband The Gaslight Anthem am fünften November im Zürcher Komplex 457 zu Gast. Bäckstage traf sich vorher noch mit dem Bassisten Alex Levine und dem Drummer Benny Horowitz.

 

Die erste Frage wäre eigentlich für Brian Fallon gewesen…

Alex: Stell sie trotzdem, vielleicht können wir sie ja beantworten.

In Ordnung. Wie hat sich Brian durch sein Nebenprojekt The Horrible Crowes persönlich weiterentwickelt?

Benny: Über seine persönliche Entwicklung können wir nichts sagen, aber über seine musikalische. Auf jeden Fall hat Brian seine Fähigkeiten im Songkomponieren ausgebaut. Er hat das Album «Elsie» praktisch alleine geschrieben — abgesehen von der Unterstützung durch Ian Perkins.

A: Ich denke, er musste ein paar Songs aus seinem Kopf loswerden, die in die Gaslight Anthem Welt nicht hineingepasst hätten. Als Songschreiber muss man die Ideen dann hinaus lassen, wenn sie hinaus wollen. Erst danach konnte er wieder mit uns weitermachen und das Album «Handwritten» produzieren.

Euer Gitarrist Alex Rosamilia sagte kurz vor der Veröffentlichung von «Handwritten» im Juli 2012, dass an der Scheibe vom ersten bis zum letzten Ton nichts auszusetzen sei. Seht ihr das jetzt, drei Monate nach der Veröffentlichung, immer noch so?

B: Nein, da gibt es einen Haufen kleiner Details, die ich jetzt ändern würde auf diesem Album. Aber keine grossen Sachen. Ich liebe die Songs darauf. Aber nun, da wir sie jeden Abend wieder und wieder spielen, kommen mir einfach neue, coole Ideen, die gut reinpassen würden.

A: Genau. Man entwickelt den Song weiter, auch wenn er eigentlich schon fertig auf der CD ist. Speziell Benny und ich, wir sind ja die Rhythmus-Sektion in der Band. Da kommt es schon vor, dass wir live in neue Grooves wechseln, die dann wiederum Teil des Songs werden. Zum Beispiel bei «Even Cowgirls Get The Blues» haben wir so einiges verändert seit der CD-Aufnahme.

Musik ist keine Wissenschaft wie Mathematik oder Biologie, die klaren Richtlinien folgt.

Das heisst, ihr spielt diese kleinen Änderungen dann einfach live?

B: Ja, das versuche ich. Ehrlich gesagt bin ich bei dieser Tour nun an einem Punkt, wo ich das spiele, was mir gerade Spass macht. Ich improvisiere viel da, wo die Songs instrumental offen sind. Natürlich mache ich dabei den Song nicht kaputt. Aber mit wachsender Erfahrung ist eine solche Entwicklung normal. Wenn die Zuhörer das Album in seiner ursprünglichen Form hören wollten, könnten sie das auch zu Hause tun. Für so etwas müssen sie ja nicht an ein Konzert gehen.

Wenn man die Meinungen über «Handwritten» hört und liest, scheint es ein ziemlich perfektes Album zu sein. Setzt euch der Gedanke, etwas so Gutes toppen zu müssen, nicht unter Druck?

B: Das hören wir bei «Handwritten» nicht zum ersten Mal. Bei der Veröffentlichung von «The ’59 Sound» haben bereits viele Leute behauptet, das wir das nicht mehr übertreffen könnten. Aber eine Person, die sagt, es ist perfekt, sitzt vielleicht gleich neben einer, die unsere Musik grauenhaft findet. Ich denke, wir wollen einfach weiterhin gute Alben machen. Es geht ja im Grunde auch gar nicht darum, was andere Leute sagen. Das ist nicht so wichtig. Vor allem jetzt, wo wir immer bekannter werden, gibt es um uns immer mehr verschiedene Meinungen darüber, was wir tun und lassen sollten.

Wer entscheidet dann?B: Am Schluss entscheiden wir als Band, was gut für uns ist. Wenn dann der Welt das, was wir ihr gerade präsentieren, nicht gefällt, haben wir trotzdem noch die Gewissheit, dass wir es für richtig halten. Und das ist das Wichtigste. Wenn wir immer auf alle hören würden, die einen Kommentar zu uns abgeben, dann würden uns die Köpfe explodieren. Zusammenfassend: Es ist natürlich sehr schön, dass viele Leute sagen, «Handwritten» sei das perfekte Album. Ich kann aber mit grosser Sicherheit sagen, dass es das nicht ist (lacht). Nichts ist perfekt. Musik ist auch keine Wissenschaft wie Mathematik oder Biologie, die klaren Richtlinien folgt.

Musstet ihr euch ein solch dickes Fell erst zulegen, um nicht auf alle Stimmen um euch herum zu hören?

A: Oh ja, auf jeden Fall. Das braucht man in diesem Business und zwar bei den positiven wie auch den negativen Feedbacks. Wir haben immer Leute, die uns sagen, wir seien die Grössten und dann solche, die sagen, wir seien absolut mies. Du musst lernen, für dich selber zu entscheiden, auf wen und was du hören möchtest.

B (lachend): Ich habe mich mit all meinen früheren Bands sowieso an schlechte Kritik gewöhnen müssen. Also wenn jemand nur schreibt «Das ist das Schlechteste, was ich je gehört habe», dann ist mir das egal. Denn offensichtlich hat sich diese Person nicht die Zeit genommen, unsere Musik richtig zu hören. Aber wenn jemand eine konstruktiv negative Kritik, basierend auf vergangene Alben oder andere Musiker, schreibt, dann schadet es nie, sich das anzuhören und daraus zu lernen. Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof.

Also, da ihr das jetzt gerade erwähnt habt, ist schon ein neues Album in Planung?

A: Wir schreiben ja immer. Auf dieser Tour haben wir zum Beispiel einen Song geschrieben und bereits aufgenommen. Das wird nie aufhören. Und ganz ehrlich, falls dieser Fluss doch mal stoppen würde, wäre das ein ziemliches Problem. Dann wären wir als Band am Ende. Wir denken jetzt schon über die nächste Scheibe nach, weil «Handwritten» bereits geschrieben und veröffentlicht ist. Wir haben sehr viel Spass, es live zu spielen. Aber wir wollen weiter kreativ bleiben und neue Songs schreiben. So entwickelt sich unsere Band konstant weiter.

B: Wir werden sicher nach Tourende zuerst nach Hause gehen und uns ein bisschen frei nehmen. Aber wir denken immer an die Zukunft und ans nächste Album. Jetzt ist garantiert nicht der richtige Zeitpunkt für The Gaslight Anthem, um länger zu pausieren.


Wenn du glücklich sein möchtest mit der Person, die du jetzt bist, dann musst du mit deiner Vergangenheit im Reinen sein.

Wenn ich mir euren Tourplan anschaue, kann ich nur sagen ‹Respekt›. Ihr fahrt riesige Strecken, seid so lange unterwegs und spielt fast jeden Abend. Was ist euer Geheimnis, dass euch das nicht auslaugt und ihr motiviert bleibt?

A: Ich habe das schon tausend Mal zu Crew und Band gesagt: Die Belohnung am Ende eines jeden Tages ist — egal wie müde oder ausgelaugt wir sind - unsere Konzerte zu spielen. Die Leute kommen, um uns zu sehen und zu hören. Und das befriedigt unglaublich. So alle zwei Wochen, wenn die Batterien langsam leer sind, spielen wir eine unglaubliche Show, die uns wieder Energie für die nächsten zwei Wochen gibt.

B: Es ist auch immer eine Frage der Perspektive. Wir sind in der  besonderen Situation, dass die Leute ziemlich viel Geld bezahlen, um uns zu sehen. Mit jeder Show können wir beeinflussen, ob die Menschen weiterhin Freude an Konzerten haben werden oder nicht. Und da ist es unwichtig, ob wir die zwanzig vergangenen Abende bereits gespielt haben und darum müde sind. Es zählt immer nur das aktuelle Konzert, das wir für unsere Fans so gut wie möglich gestalten möchten. Wenn das nicht genug Motivation ist, jeden Abend auf der Bühne zu stehen und das Beste zu geben, dann ist man entweder im falschen Business oder hat schlicht die Perspektive verloren. Natürlich ist manchmal hart, genau diese Perspektive zu behalten. Das viele Reisen und die Routine erschweren dies. Dann müssen wir uns einfach aktiv immer wieder daran erinnern, wieso wir das machen.

Wenn ihr drei Dinge aus eurer Vergangenheit ändern könntet, welche wären es und wieso?

B & A (gleichzeitig): Gar nichts.

B: Ich würde absolut nichts an meiner Vergangenheit ändern. Wenn ich irgendwas an der Vergangenheit ändern würde, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Und ich bin glücklich da, wo ich jetzt bin. Jeder bereut gewisse Dinge, die er gemacht hat. Aber daran wachsen die Menschen ja auch und ihre Charakter bilden sich weiter. Wenn du glücklich sein möchtest mit der Person, die du jetzt bist, dann musst du mit deiner Vergangenheit im Reinen sein.

Was können wir von eurem Konzert heute Abend erwarten?

B: Dasselbe wie immer. Wir haben unser Rezept nicht wirklich verändert seit unserem letzten Auftritt hier in Zürich im Sommer.

Was ist denn dieses Rezept?

B: Gute Frage. Einfach Spass haben und mit viel Energie spielen. Eine gute Rock’n’Roll-Show eben. Wir mögen es, wenn die Leute ihren Alltagsballast einfach an der Garderobe abgeben und den Abend mit uns geniessen.

 

 

 

Gaslight Anthem in Aktion

 The Gaslight Anthem in Aktion

 

Und genau das taten Fans wie auch Band an jenem Abend. Schon Support Dave Hause — den manche vielleicht im Zusammenhang mit seiner Punkband The Loved Ones kennen — schaffte es, nur mit Gitarre bewaffnet, die Zuschauer schnell für sich zu gewinnen. Da dieser Abend für ihn der letzte auf dieser Tour war, entschied er sich, nochmals alles zu geben.

 

An der Garderobe musste sich eine Menge des besagten Alltagsballast angesammelt haben, denn von der Menge ging eine sehr unbeschwerte und freudige Stimmung aus. Teilweise sangen sie so laut mit, dass Daves starke Stimme gar nicht mehr nötig war und er die Zuschauer nur mit der Gitarre begleitete.

 

Nach einer kurzen Unterbrechung betraten The Gaslight Anthem die Bühne. Dass die Musiker ihren Auftritt genossen, merkte man schnell. Sie sprühten förmlich vor Energie. Auch das Publikum, von Dave Hause gut aufgewärmt, sang und tanzte wie besessen. Regelmässig wanderten Crowdsurfer über die Köpfe der Zuschauer — so wie es sich bei einem echten Punk-Rockkonzert gehört. Dass das Komplex nicht ausverkauft war, fiel auf diese Weise kaum auf.

 

The Gaslight Anthem spielten sich im Laufe des Abends mit Hits wie «Mae», «Old White Lincoln» und «The Queen Of Lower Chelsea» quer durch ihre veröffentlichten Alben. Schade nur, war der Sound vor allem anfang des Konzertes schlecht abgemischt — man hörte Brian Fallons rauhe Stimme kaum durch die starken Bass- und Gitarrentöne. Dies verbesserte sich aber im Laufe des Konzerts deutlich.

 

In der Zugabe erschien Dave Hause wieder auf der Bühne, um das Lied «American Slang» zusammen mit Brian zu singen. Und wie um dies noch zu toppen, legte Energiebündel Dave beim letzten Song «Great Expectations» einen schwungvollen Stagedive ins Publikum hin. Dort liess er sich von der Menge tragen und stand teilweise sogar aufrecht, gestützt durch zahlreiche Hände über den Köpfen der Zuschauer. Mit diesem Höhepunkt verabschiedeten sich die Musiker endgültig vom Komplex 457. Ihr altbewährtes Rezept für ein gutes Konzert hat definitiv einmal mehr überzeugt.

Laura Zeller / Mi, 07. Nov 2012