Grosse Stimmgewalt - dennoch kein Stimmungshoch

Konzertkritik: The Boxer Rebellion im Komplex
Bildquelle: 
www.theboxerrebellion.com

Keine Frage, The Boxer Rebellion wissen, wie man Räume füllt. Und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen vermochte der Auftritt der Briten am vergangenen Mittwoch ein ansehnliches Häufchen Menschen in den Komplex Klub zu locken. Man stand immerhin so dicht, dass sich die Wartezeit zwischen Vorband und Hauptact mit fröhlichem Deoraten vertreiben liess (Der schräg vor dir: Axe Africa? Nö, eher was von Adidas.). Zum anderen füllte und erfüllte spätestens ab dem zweiten Song des Abends, «Take me back» vom aktuellen Album «Promises», ein bestechend dichter, klarer und zugleich flächiger Klang jeden Winkel des Klubs und drang den Zuhörern in Mark und Bein. Dass das möglich war, ist gewiss auch den Leuten im Hintergrund zu verdanken und darum sei an dieser Stelle denjenigen, die für den sehr gut abgemischten Sound sorgten, ein Kränzchen gewunden.

 

Aber da schlechte gespielte Musik noch so gut abgemischt kein Hörvergnügen ist, wollen wir nicht die Band aus den Augen verlieren, die eine über zwölfjährige Bühnenerfahrung vorweisen kann und dementsprechend routiniertes Können an den Tag legte. Und nicht zuletzt - dann reicht es auch erstmal mit den Lobeshymnen - verleiht Nathan Nicholsons eigenwillige Stimme den teilweise recht klassischen Indierocksongs der Band erst Tiefe und ein unverwechselbares Timbre. Nathan jedenfalls weiss, was er tut. Welche Kraft, welche Eindringlichkeit sein Gesang entwickeln kann, zeigte sich besonders gut beim Song «No Harm» mit seinem textlich reduzierten Refrain. Nathan singt einfach nur: «Maybe there’s no harm, maybe there’s no harm in you.» Over and over again. Bestimmt hat der Song der einen oder dem anderen Schauer über den Rücken gejagt.

 

Aber wir wollen nicht vorgreifen. «No harm» kam ja erst als Zugabe. Und da The Boxer Rebellion exakt von halb zehn bis elf gespielt und damit - ganz die beflissenen Profis - genau die von ihnen erwarteten 90 Konzertminuten geliefert haben, ist vorher noch so einiges passiert, was durchaus Erwähnung verdient. Der Song «New York» zum Beispiel kommt mit wenig instrumentaler Begleitung aus und darum griffen Gitarrist Andrew und Bassist Adam kurzerhand zu den Drumsticks und trommelten wild drauf los. Das sah ziemlich toll und bei Andrew eindeutig nach Showeinlage aus und liess nicht wenige eingefleischte Fans glatt die iPhones im Kameramodus zücken. Und sogar das bekanntlich recht kühle Publikum in Zürich liess sich dazu herab, zu «Keep Moving» mit zu klatschen. Ansonsten herrschte vor der Bühne aber doch die übliche vornehme Zurückhaltung. Besonders die zwei, drei post-rockigen Nummern mit längeren Instrumentalteilen stiessen auf wenig Begeisterung. Auch Nathans Witzelein zwischendurch wurden eher mit höflichem als herzhaftem Lachen bedacht. Das mochte daran liegen, dass man ihm den geübten Entertainer langsam anmerkt und professionell rübergebrachte Spässe ein anspruchsvolles oder einfach humorloses Publikum nicht aus der Reserve locken können.

 

Langsam kommen wir zum Punkt: Der Funke wollte am Mittwoch nicht so ganz rüber springen. Die Stimmung blieb ähnlich gedämpft wie die Bühnenbeleuchtung. Klangliche Dichte, eindringlicher Gesang, die Bühnenshow mit Prädikat wertvoll hin oder her. The Boxer Rebellion lieferten eine jederzeit absolut solide Leistung und trotzdem fehlte irgendwas. Das wurde mit dem allerletzten Song «Watermelon» klar - sowieso einer der besten Würfe der Band - denn da war es plötzlich da: Eine Energie, die das ganze Publikum ergriff. Plötzlich konnte man richtig in der Musik und im hellroten, tatsächlich an das Fleisch von Wassermelonen gemahnenden Licht versinken und sich von fliegenden Klangteppichen davontragen lassen. Ein richtiger Livemoment eben. Nur leider ein bisschen sehr spät.

Jasmin Camenzind / So, 02. Nov 2014