«Schauspielen ist ein Handwerk, das man kultivieren sollte.»

Interview mit Jake Gyllenhaal
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© Zurich Film Festival

Charakter-Darsteller Jake Gyllenhaal («Prisoners», «Nightcrawler») machte vergangenes Jahr am Zurich Film Festival Halt um seinen Film «Stronger» zu präsentieren, den er auch produziert hat. Bäckstage nutze die Chance und traf den smarten Schauspieler zum Gespräch. Jake plauderte über seine Bewunderung für den körperlich behinderten Jeff, den er im Film verkörpert, seine Lebe für den Film und seinen Umgang mit der Presse. 

 

Wurdest du durch den Film «stronger»? 

Ich werde die Tiefen nie verstehen, durch welche Jeff durchmusste. Aber die zentrale Aussage des Films ist es, dass man nicht aufgeben darf. Dass es jeder schaffen kann, einen solchen Schicksalsschlag zu überwinden. Und dafür muss man nicht Superman sein. Eine Gemeinsamkeit von mir und Jeff ist, dass wir beide gerne an uns zweifeln. Aber ironischerweise ist es der Zweifel, der ihn am Morgen aufstehen lässt. Er zweifelt daran ob er den Tag überstehen wird und dann steht er auf und tut es einfach. Ich habe von Jeff mehr gelernt als von allen anderen Figuren, die ich verkörperte.

 

Die Kameraeinstellung zeigt häufig den Blick aus Jeffs Perspektive, wie wichtig war dieser künstlerische Blickwinkel? 

 

Es war sehr wichtig, das Erlebte aus seiner Sicht sehen und erleben zu können. Was ich an solchen Perspektiven mag, ist die Tatsache, dass eine kleine Gruppe von Menschen eng zusammenarbeiten muss, um ein gutes Resultat zu erzielen. Der Darsteller, der Kameramann, das Framing, der Schnitt, der Regisseur, der Produzent … sie alle tragen dazu bei. Uns war es wichtig, Jeff’s inneren Kampf gegen sich selbst zu zeigen. Viele denken der Film handelt von Terrorismus und Bombenanschlägen, aber dies tut er nicht. Der Film dreht sich darum, wie Jeff mit seinem Schicksal umgeht, dadurch stärker wird und innerlich wächst. Das war es auch was mich am Film reizte, diese Aussage zu machen und deshalb mussten wir nahe bei ihm sein, kameratechnisch gesehen, um seine Herausforderung so nah wie möglich mitzuerleben. Meine Lieblingsszene ist jene, in der sich seine Verwandten darüber freuen, dass der Terrorist geschnappt wurde. Die Presse überschlägt sich mit Meldungen zum Fang der Terroristen, wer sie waren und was sie zur Tat antrieb, aber meist werden die wirklich interessanten Menschen, wie Jeff, vergessen. Seine Geschichte wollte ich zeigen, weil wir von ihm so viel lernen können.

 

 

Du hast viel Zeit mit Jeff verbracht. Wie bist du auf ihn zugegangen? 

Unsere Freundschaft war nicht sichergestellt. Ich wusste nicht mal, ob ich mich mit ihm verstehen werde. Menschen fragten mich, ob ich ihn getroffen habe, bevor ich mich entschlossen habe, ihn zu verkörpern. Du weisst nie, wie du mir jemanden auskommen wirst, mit dem du arbeiten musst. Deshalb war ich sehr froh als sich herausstellte, dass es zwischen uns geigt. Ich verbrachte insgesamt etwa ein ganzes Jahr mit Jeff und lernte ihn dadurch sehr gut kennen. Ich brauche meist eine lange Startbahn, ich liebe die Vorbereitung, die ruhigen Zeiten, bevor es mit dem Dreh losgeht. Es geht in der Vorbereitung nur um das Beobachten. Es ist ein grosser Vorteil, wenn man die Umwelt und Rahmenbedingungen kennt in der sich die Person, die man verkörpert, befindet. Ich verbrachte auch ein Jahr mit den Medizinern, die Jeffs Leben retteten. Einige dieser Personen sind auch im Film zu sehen, aufgrund der Beziehungen, die wir untereinander aufgebaut haben. Unser Drehbuchautor verbrachte ein Jahr vor uns mit Jeff, dann kamen wir hinzu und wir verbrachten noch ein Jahr mit ihnen. Dadurch konnten wir enge Bände stricken. Aber dies gehört eben zum Job. Deshalb dauert dieses Interview ja nur 20 Minuten, denn wenn ich etwas nicht mag, dann dass Journalisten mein wahres Ich kennenlernen (lacht).

 

Der Film übt auch Medienkritik. 

Wir alle sind Meister im Projizieren? Jeder hat eine andere Meinung über mich. Die einen mögen mich, die anderen hassen mich. Wir alle urteilen übereinander, da ist niemand ausgenommen. Ich befinde mich lang genug im Rampenlicht, so dass ich dankbar dafür bin. Und ich verstehe, dass Menschen ihre Meinung besitzen und teilen, deshalb ist es umso wichtiger, wenn du weißt, wer du selber bist. Ich komme damit klar, indem ich mir dieser Komplexität unserer Menschlichkeit bewusst bin. Im Film war es mir sehr wichtig, zu zeigen, dass Jeff von den Medien wahrhaft «sucker punched» wurde. Andere waren im Kampf/Krieg und wussten was sie aufs Spiel setzen, er stand aber nur am Rand des Marathons. Er wollte oder musste sein Leben re-kalibrieren, körperlich und geistig. Zugleich trug er dieses grosse Gewicht auf seinen Schultern, als er nicht mal wortwörtlich aufstehen konnte. Wenn man nur schon überlegt wie lange er brauchte, um wieder gehen zu lernen. Als ich in kennenlernte, konnte er kaum einen halben Bock laufen, nun laufen wir wohin immer es uns gefällt. Er ist nicht perfekt, aber er ist aussergewöhnlich. Es braucht seine Zeit bis man versteht wie sehr er die Menschen inspiriert und motiviert und man muss sich mit dem zuerst auseinandersetzen.

 

 

 

Ich bin ein Schauspieler, es gehört zu meinem Job mich körperlich so zu bewegen, dass du denken könntest, mir fehlten die Beine.

 

 

Du hast bei «Stronger» auch als Produzent mitgewirkt. Wie kam es zu diesem Schritt? 

 

Geschichten zu erzählen ist für mich eines der mächtigste Dinge, die man tun kann. Wir alle tun es, sind Teil davon, zumindest in diesem Raum. Die Filmemacherei hat mir immer gefallen und ich war immer gerne Teil davon, Menschen und ihre Visionen zu unterstützen. Als Schauspieler versuchte ich Menschen zu finden, die grosses Talent haben und mit denen ich aussergewöhnliche Geschichten erzählen kann. Es geht mir nicht darum, im Film selbst zu sein, sondern eben diese Personen dabei zu unterstützen, ihre Geschichte, ihren Film, zu erzählen. Wir sind im Moment zwei Personen in der Produktionsfirma. Wir haben zwei Filme gemacht, aber gefühlt tausend Projekte in der Entwicklung. Mir geht es darum, dass dies von allein läuft, dass ich nicht immer auch selbst darin spielen muss. Mit dem Älterwerden, möchte ich Geschichten erzählen, die auch für Personen in meinem Alter ansprechend sind. Neue Formate wie Netflix oder Hulu fördern dies, indem wir Charaktere intimer und genauer zeichnen können. Ich bin mir in der Produzentenrolle auch dem Filmgeschäft bewusster geworden. Ich liebe das Filmgeschäft. Es gibt Künstler, die werden dir sagen, sie denken nicht ans Filmgeschäft, ich nicht. Ich sage dir, ich denke darüber. Und es macht mir Spass.

 

Hast du körperliche Vorbereitungen getroffen um dich wie Jeff zu bewegen?  

 

Ich bin ein Schauspieler, es gehört zu meinem Job mich körperlich so zu bewegen, dass du denken könntest, mir fehlten die Beine. So verdiene ich meine Brötchen (lacht). Darum geht es im Schauspiel. Es ist ein Handwerk, du kannst das ganze Leben damit verbringen, dies zu meistern und zu beherrschen. Ich habe das Gefühl, weil so viel Aufmerksamkeit auf das Berühmtsein verschwendet wird, wird vergessen, dass Schauspielerei ein Handwerk ist. Ein Handwerk, das man kultivieren sollte. Im Vergleich zur Aufmerksamkeit, die man dafür bekommt. 

 

Obwohl der Bombenanschlag vor Jahren stattfand, ist die Situation für uns als Gesellschaft, die gleiche. Denken wir nur an die Massenschiesserei in Las Vegas. Inwiefern kann uns Jeffs Geschichte hier beistehen? 

 

Was hier sehr stark rüberkommt, ist das Jeffs naher Umkreis von der ganzen Situation genauso stark überwältigt wurde, wie er selbst. Aber die Verbundenheit mit seinem Umfeld, seiner Community, half ihm durch die schweren Tage.  Manchmal muss man nur füreinander da sein und dies ausdrücken, um jemanden das Leben zu retten. Wir alle bestehen nur gemeinsam, als Gemeinschaft. Und dies zeigt sich auch in Jeffs Umfeld. Es machte seiner Familie und Freunden sicherlich keinen Spass ihn im Krankenhaus zu besuchen, aber sie taten es und dies half ihm. Sie standen ihm bei, als es auch ihnen vielleicht nicht gut ging. Und darum geht es schlussendlich. Um das füreinander da sein. Und dass ich dies in der Zeit nach der Schiesserei in Las Vegas den Menschen mitgebe - ich als Schauspieler und nicht als politisches Oberhaupt - bringt mich zum Zweifeln. Wissen unsere politischen Führer wirklich, was die Opfer nun brauchen? Ich weiss es nicht, aber ich weiss, dass alles was wir in schweren Zeiten tun können ist, dass wir füreinander da sind und uns beistehen. Aber wir sollten diese Fragen auch den politischen Oberhäuptern stellen dürfen. Und vielleicht ist dies jetzt komplett fehl am Platz, aber was ich schade finde, ist, dass wir Meinungsfreiheit dermassen hoch gewichten, dass sie manchmal sogar grosser ist als Rationalität und Verstand. 

 

Tanja Lipak / Do, 03. Mai 2018