Werde die, die du bist

Movie-Kritik: Lou Andreas Salome
Bildquelle: 
© Filmcoopi

Geboren 1861 in St. Petersburg lernt Louise von Salomé früh, sich durch zu setzen: Als jüngstes Kind mit fünf Brüdern kommt sie von Kindsbeinen an in Konflikt mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Normen. Unterstützung erfährt sie dabei von ihrem über alles geliebten Vater, der stirbt, als sie 16 Jahre alt ist. Sein letzter Rat: «Werde die, die du bist», geschrieben auf einem Gutschein der Stadtbibliothek. Und so begibt sich die 16-jährige Louise (Liv Lisa Fries) in die Welt der Bücher, entdeckt Aristoteles und Spinoza, taucht tiefer und tiefer ein in die Philosophie. Als Mentor und Vater-Ersatz begleitet sie hierbei der protestantische Pfarrer Gillot (Marcel Hensema) – jedoch endet diese Freundschaft abrupt, als Gillot ankündigt, sich scheiden zu lassen, um Louise heiraten zu können. In diesem Moment schwört sich Louise, die sich fortan nur noch Lou nennt, Ehe und körperliche Liebe abzulehnen, um sich ganz und gar ihrer geistigen Vervollkommnung zu widmen. 

 

Freiheitswille fordet Opfer 

 

Sie studiert in Zürich, muss das Studium aufgrund von gesundheitlichen Problemen jedoch unterbrechen und begibt sich nach Rom, wo sie den Philosophen Paul Rée (Philipp Hauss) und dessen Freund Friedrich Nietzsche (Alexander Scheer) kennenlernt. Beide sind fasziniert von der gebildeten, rebellischen Frau, beide wollen sie heiraten. Doch Lou (Katharina Lorenz) lehnt dankend ab und bleibt nur der Freiheit treu. Ihr erstes Buch muss sie unter einem männlichen Pseudonym herausgeben, und auch sonst testet sie die Grenzen der gesellschaftlichen Ordnung immer wieder aus. «Wir wollen doch einmal sehen, ob die scheinbar unüberwindbaren Schranken, die diese Welt zieht, sich nicht als harmlose Kreidestriche erweisen» sagt sie einmal, und dieser Satz ist ihr eigentliches Lebensmotto. 

Doch der sture Freiheitswille fordert auch seine Opfer: Lou zerstreitet sich mit Nietzsche, zieht mit Paul Rée nach Berlin und willigt dort schliesslich in eine Scheinehe mit dem 15 Jahre älteren Orientalisten Friedrich Carl Andreas (Merab Ninidze) ein. Eine pragmatische Entscheidung für beide – was bleibt, sind die getrennten Schlafzimmer. 

 

Lou liebt die Freiheit, selbst wenn sie dabei nass werden sollte. (© Filmcoopi)

 

Ihre radikale Einstellung der körperlichen Liebe gegenüber ändert sich erst, als Lou Andreas-Salomé gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Dichter Rainer Maria Rilke (grandios: Julius Feldmeier)  kennenlernt. Sie rät dem jungen Rainer, die Fantasie nicht davon galoppieren zu lassen, wird seine Ratgeberin, Förderin und Geliebte. Es folgen weitere Affären, weitere abgelehnte Heiratsanträge, weitere persönliche Rebellionen gegen die Norm: Als Lou schwanger wird, beendet sie die ungewollte Schwangerschaft kurzerhand durch einen Sprung vom Kirschbaum. In Wien lernt sie Sigmund Freud (Harald Schrott) kennen, nach der Philosophie wird nun die Psychoanalyse zu ihrem Studiengebiet. Sie beeinflusst den Analytiker in seinen Theorien und ist lange Jahre selbst als Psychologin tätig, bevor sie sich in hohem Alter (fabelhaft gespielt von Nicole Heesters) in den Ruhestand begibt. 

 

Intellektuelle, Rebellin, Liebende … 

 

Hier beginnt Cordula Kablitz-Posts Film: Im Jahr 1933 begibt sich der junge Germanist Ernst Pfeiffer (Matthias Lier) zu Lou Andreas-Salomé, um ihren Rat einzuholen. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die betagte Lou beschliesst, gemeinsam mit Pfeiffer ihr Leben niederzuschreiben. Mit Hilfe von alten Fotos, Briefen und Notizen erinnert sich Lou Andreas-Salomé noch einmal an ihr bewegtes Leben zurück, während die Nazis die Psychoanalyse als «jüdische Wissenschaft» degradieren und Freuds Bücher verbrennen. «Lou Andreas-Salomé» ist ein berührendes, subtiles Portrait über eine aussergewöhnliche Frau, die sich selbstbewusst jedem Hindernis stellt und im Vorbeigehen Kreidestrich um Kreidestrich verwischt. Lou Andreas-Salomé war Intellektuelle, Rebellin, Liebende und immer auch Hinterfragende – eine Persönlichkeit, die es zweifelsohne verdient, dass ihr Leben verfilmt wird. Jenseits von Gender-Diskussionen und Quoten-Debatten zeigt «Lou Andreas-Salomé», was wirklich zählt: Mach das, was dich interessiert, akzeptiere kein Nein – und werde die, die du bist. 

 

Die faszinierende Biographie dieser kämpferischen Frau hat die Regisseurin Cordula Kablitz-Post gekonnt verfilmt.

 

  • Lou Andreas-Salomé (2016)
  • Regie und Drehbuch: Cordula Kablitz-Post
  • Besetzung: Katharina Lorenz, Nicole Heesters, 
  • Alexander Scheer (Friedrich Nietzsche)
  • Dauer: 113 Minuten
  • Kinostart: 8. September 2016

 

 

Tamara Schuler / Mi, 07. Sep 2016