Von Maschinenmenschen
Ich predige ja schon lange, dass die gruseligsten Horrorfilme Dokumentationen sind, oder zumindest auf wahren Begebenheiten beruhen. Wie etwa «Official Secrets» mit Keira Knightley oder die Doku «Work Hard – Play Hard» von Carmen Losmann, wo sich Aspiranten bis zur Selbstverleugnung für Mutterkonzern und Firmenkultur verbiegen. Sieben Jahre lang, von 2015 bis 2021, folgte Autor und Regisseur Piet Baumgartner fünf Studenten der HSG. Ihr wisst schon; dem Hort des Guten und der Wiege der Philanthropie, also der Kunst der Steuervermeidung. Dabei lernt man die einzelnen Personen weit besser kennen, als man es eigentlich möchte.
Unter Druck kann sich die Kravatte von Frederic schon mal etwas enger anfühlen. (Filmstill: ©Filmcoopi)
Zunächst begleiten wir die furiosen Fünf durchs Studium, wo sie den heiligen Geboten der Wirtschaftshochschule zu huldigen lernen. Kundenausgrenzung, hochtrabendes Geschwafel vor Publikum und das Scheffeln von Startkapital. Selbstredend bevor jeglicher Machbarkeitsnachweis überhaupt erbracht worden ist. Von und mit null auf Milliardär, lautet die Divise. Alles, was es braucht, ist ein wolkenkratzergrosses Ego, eine URL und eine hoffnungslos überzogene Evaluierung der eigenen, ungeprüften Geschäftsidee. Es ist diese blauäugige Arroganz, die Sendungen wie «Shark Tank» oder «Die Höhle der Löwen» erst so köstlich macht.
Maschinen sollen sie sein, hemmungslose Schwätzer, und natürlich die Bereitschaft zur Ausbeutung mitbringen. Erst von sich selbst, und dann vom Rest der Welt. Nach erfolgreichem Abschluss geht es an die Firmengründung, respektive die Suche nach einer Anstellung bei prestigeträchtigen Firmen. Die unmittelbare Zukunft wird geprägt sein von endlosem Jetten um die Welt, dem Starren auf Bildschirme und dem Verkümmern des eigenen Privatlebens.
Leben auf der entvölkerten Überholspur
Einige zieht es zu sogenannten Beraterfirmen. Einem Wirtschaftszweig mit bestenfalls zweifelhafter Reputation, der Grosskonzernen für fürstliches Entgelt «Verbesserungsvorschläge» unterbreitet und nach Auszahlung jegliche Verantwortbarkeit in Abrede stellt. Selbst wenn man die Entlassung von achtzig Prozent der Belegschaft empfiehlt, kann man sich immer noch damit brüsten, wenigstens zwanzig Prozent vor dem Arbeitsamt bewahrt zu haben. Entscheiden tut halt selten, wer Recht hat, sondern meist, wer mehr Geld und damit die grösseren Druckmittel besitzt.
Andere hingegen versuchen sich als Unternehmerinnen. Mal was mit Socken, dann was mit Blumen, und wenn’s scheitert – was es unweigerlich muss –, zurück zu Mami und Papi in die Villa ziehen. Fast alle der Fünf haben vermögende Eltern und bringen Netzwerke mit. Einer stammt etwa von einem vormaligen Bundespräsidenten ab. Manchmal aber werden die Familienverhältnisse bloss angedeutet. Da hat einer einen privaten Chauffeur, was zwar gezeigt, aber kein einziges Mal angesprochen wird. Genau jener Absolvent wird später bestätigen, auf bestem Weg zum Millionär zu sein – und er sagt es derart selbstgefällig, als lächelte ihm Maggie Thatcher höchstpersönlich über die Schulter. Hach! Der Primus der Gruppe wird gar so erfolgreich, dass er im letzten Drittel bei einer Ehrenfirma anheuert, die keinesfalls im Film genannt werden will – womit er fast ganz aus der Handlung verschwindet. Es ist davon auszugehen, dass es sich nicht um eine NGO handelte.
Protagonistin Feifei auf dem Weg zum Erfolg und doch mit sorgengerunzelter Stirn. (Filmstill: ©Filmcoopi)
Man ist versucht, eine ketzerische Frage zu stellen. Wozu eigentlich das Ganze? Bei den Meisten erliegt man dem Verdacht, dass sie ihren Eltern was beweisen wollen. Manche aus Schuldgefühlen, manche aus Konkurrenzdenken und andere wiederum aus schierer Planlosigkeit. Ein Leben auf der Überholspur mit geerbten Ressourcen. Zwar kann man einigen Exponenten Fleiss bis zur Selbstaufopferung nicht absprechen, doch lauert am Ende die ernüchternde Erkenntnis, dass die eigenen Bestrebungen zuletzt nicht die Welt, sondern lediglich den eigenen Kontostand verbessern. Aber solange man weiss, wie man diesen Umstand nach aussen verkauft, schläft es sich offenbar tief und fest.
Baumgartner gelingt es, mit wunderbaren Bildern und kurzweiligem Schnitt einen Blick in die geschmierte Mechanik von Nepotismus und Neoliberalismus zu werfen. Stellenweise hakt er nach, streckt aber niemals den moralinsauren Zeigefinger. Frei nach dem Motto: Man widerspricht nicht. Man lässt die anderen so lange schwafeln, bis sie es selbst tun. Abgerundet wird die Doku vom Soundtrack aus der Feder der wunderbaren Fatima Dunn. Ein schaurig prächtiger Horrorfilm mit hohem Anschauungswert. Denn was gibt es Aufregenderes, als dem Bösen bei der Arbeit zuzuschauen?
Eine Studie über die Leiden der jungen Streber, die Dinge beim Namen nennt, sich jedoch gleichzeitig ihre Subtilität bewahrt. Dazu muss man stellenweise zwar genau hinschauen, was aber durch die packende Aufbereitung relativ leichtfällt.
- «The Driven Ones» – CH 2023
- Regie: Piet Baumgartner
- Besetzung: Feifei, Sara, Tobias, Frederic, David
- Laufzeit: 94 Minuten
- Kinostart: 29. September 2023