Jan-Ole Gerster: Ich versuche immer auf meine Intuition zu hören

Interview mit Jan-Ole Gerster zu LARA
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Nachdem vielfach gefeierten «Oh Boy» hat Jan-Ole Gerster mit «Lara» seinen zweiten Spielfilm gedreht. Darin spielt Corinna Harfouch die titelgebende, komplizierte Frau, die an ihrem sechzigsten Geburtstag ihr Leben wieder auf die Reihe bringen möchte. Was Jan-Ole an der Figur der Lara fasziniert, was wir alle von ihr lernen können, welche Verbindung der Film tatsächlich zu «Oh Boy» besitzt und ob es einen dritten Berlin-Film gibt, verriet uns Jan-Ole im Interview am Zurich Film Festival.

 

Die Lara ist kein einfacher Charakter, sie ist eine komplizierte Figur …

 

So beschreibe ich sie auch immer: Die Geschichte einer komplizierten Frau.

 

Magst du sie, was verbindest du mit ihr? Sie ist ja praktisch in jeder Szene mit drin.

 

Sie ist in jeder Szene, das ist ihr Film und klar mag ich sie, sonst hätte ich mich ihr gar nicht so nähern können. Jemanden nur in seiner Negativität zu zeigen, ist irgendwann einmal langweilig. Richtig interessant wird es erst, wenn ich bei einer Figur wie Lara, die niederträchtig und streng handelt, zeigen kann, wo dies herkommt und was der Schmerz und die Verzweiflung dieser Figur ist. Sich dem zu nähern, war die Aufgabe und das Abenteuer dieses Projektes. Wir alle kennen solche Leute, die ein bissel nerven, aber irgendwie haken wir ein und bei Lara auch, weil wir wissen, dass dies nicht von ungefähr kommt und meist etwas zugrundeliegt, das mit einer Verzweiflung, einem Schmerz und einer Enttäuschung zu tun hat. Dass schöne an Filmen ist ja, dass man mit einer solchen Figur mal mitgehen kann und ein Bewusstsein schafft, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat.

 

Interessant ist, dass je mehr die Leute auf sie zukommen, desto abrupter reagiert sie.

 

Ja, wo auch immer sie aufkreuzt, gehen die Rollos runter. Deswegen ist die Figur des Nachbars so interessant, weil er der einzige ist, der bereit ist, die Frau so zu nehmen wie sie ist. Irgendwie mag er sie auch. Mit dem Ergebnis, dass sie wiederum gar nicht weiss, wie damit umgehen, da Lara sich gewohnt ist, auf Leute zu treffen, die sich so verkrampfen, wenn sie um die Ecke kommt. Deswegen fand ich den Nachbarn eine schöne Figur, weil er der einzige ist, der mit leuchtenden Augen auf sie guckt.

 

Woher wusstest du, dass Corinna die Richtige ist, um die Rolle der Lara zu tragen?

Das wusste ich durch eine merkwürdige Fügung schon beim Lesen des Drehbuchs von Blaž Kutin. Irgendwann habe ich nur noch Corinna vor meinem geistigen Auge gesehen. Das hat damit zu tun, dass ich sie mal im Theater gesehen habe und so weggeblasen war von dem, was sie gemacht hat. Ich habe sie schon immer sehr bewundert, aber ist eben auch ein Theaterstar. Das war ein Erlebnis, das ich nicht vergessen haber und das werde ich nicht vergessen, weil es mich derart umgehauen hat. Seither war in mir der Wunsch, mit Corinna zu drehen. Ich habe es sogar ein wenig von ihrer Zusage abhängig gemacht ob ich den Film drehe oder nicht. Habe ich ihr aber nicht gesagt (lacht). Wenn wir verschiedene Takes hatten im Schneideraum, nahmen wir sehr häufig den ersten. Corinna ist eine sehr instinktstarke Schauspielerin, es war sehr angenehm mit ihr zu drehen.

 

Es gibt viele Parallelen zu «Oh Boy» in «Lara». Alles spielt in einem Tag in Berlin, die Hauptfigur begibt sich auf eine Odysse, trifft Bekannte. Auch die Darsteller aus «Oh Boy» Tom Schilling und Friederike Kempter spielen bei «Lara» mit. War dies wirklich reiner Zufall?

 

Es war Zufall. Wie gesagt, das Drehbuch stammt nicht von mir. Ich will mich nicht darauf spezialisieren, Filme an einem Tag zu erzählen. Es gab einen Augenblick, an dem ich mich gefragt habe, ob mich die Zufälligkeiten stören, aber dann habe ich dies schnell zur Seite gelegt. Es gab ein paar Journalisten, die gesagt haben «Mach doch noch einen dritten Film, dann hast du eine Trilogie». Berlin, einen Tag, eine Figur. Wo ich dann schon überlegt habe «warum nicht?». Die Idee ist nicht abwegig. Aber es war sonst totaler Zufall.

 

Die Darsteller waren aber kein Zufall?

Nein, ich arbeite gerne mit den Leuten, die ich mag und schätze, dies macht die Arbeit auch angenehmer. Aber im Fall der Verkäuferin im Kaufhaus, gespielt von Friederike Kempter, entstand irgendwann so ein Fun-Fact, als die Kostümbildnerin mich fragte, ob sie den ein Namensschild trägt und ich erwiderte, dass sie einen Namen braucht. Und dann habe ich Friederike den Namen gegeben, den sie in «Oh Boy» hatte, Julika. Das ist die einzige Verbindung, die ich zwischen den Filmen geschaffen habe. Ansonsten wollte ich die Filme voneinander trennen. Aber die Verkäuferin könnte tatsächlich die Julika aus «Oh Boy» sein.

 

Was ebenfalls sehr toll ist, ist die Kinematografie des Films? Wie viel Wert hast du daraufgelegt?

 

Es war so eine Intuition beim Lesen des Drehbuchs und ich versuche immer auf meine Intuition zu hören. Meiner Erfahrung nach hat es sehr viel Richtigkeit auf das zu hören, was einem beim Lesen in den Sinn kommt. Es waren immer sehr statische, grafische Bilder, die ich so im Sinn hatte, weil es die Figur in so ein Korsett packt aus der sie nicht rauskommt, so eine Art Hermetik, eine Geschlossenheit. Ich fand es auch beim Dreh sehr angenehm, die Kamera nicht immer zu bewegen. Der Kameramann hat dies auch so gesehen und so haben wir einen Film gedreht, in dem wir nicht mal einen Schwenk drin hatten.

 

In einer Szene in der Toilette hat Corinna ihren orangen Mantel an und die andere Dame auf der Toilette hat ein dunkles türkisfarbenes Oberteil. Beide Farben tauchen in den fliessen der Toilette wieder auf.

 

Das ist sehr gut, dass du das gesehen hast (lacht). Ich nenne das den schönen Zufall. Wenn man anfängt zu sagen ich möchte jenes Kostüm und das dort und bitte findet mir jetzt noch die Toilette, die dazu passt, dann geht es in der Regel nicht (lacht). Aber es gibt manchmal so schöne Zufälle beim Dreh. Da steht man im Motiv drin und denkt «sehr ihr das, was ich sehe? ». Wie eine Komposition war das.

 

Der Film basiert nicht auf einem Roman, aber er erinnert an Literaturadaptionen.

 

Fand ich auch, es fühlt sich wie Literatur an. Meine erste Reaktion als ich das Drehbuch gelesen habe war, dass es sich wie ein Buch liest. Die Vielschichtigkeit und Interpretationsoffenheit ähneln jenen von guten Literaturvorlagen.

 

 

 

Tanja Lipak / Do, 07. Nov 2019