Die isländische Dampfwalze

CD-Kritik: Sigur Ros - Valtari
Sigur Ros - Valtari
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Emi Schweiz

Das aktuelle Album von Sigur Ros, «Valtari», muss wohl differenziert betrachtet werden. Schaut man es als neustes Studiowerk der Kultband aus Island an, fällt es gnadenlos durch. Alles, was Sigur Ros ausmacht, wird gnadenlos zerhackt. Die feinen Harmonien, durch die Sigur Ros zu Alternative-Stars wurden, sind nur schwer zu filtern, die Melodien sind trist und weit weg von der Klasse eines «Agaetis Byrjun». Herausgekommen ist ein schwerer, seltsam unförmiger und undurchdringlicher Einheitsbrei. Schlimmer noch: Das Album langweilt. 

 

Aber da ist noch der andere Aspekt und der macht Sigur Ros schon fast wieder kultverdächtig. Durch geschickte Ambivalenz erreichen sie, dass man sich auf ihr sperriges Werk einlassen muss, um zu erkennen, was die Band eigentlich nicht will. Sigur Ros waren nie einfach zu greifen, aber immer verspielt und irgendwo mystisch. Jene Aspekte fehlen komplett. Aber die dardurch entstehende Unnahbarkeit treiben sie auf den Höhepunkt. Läuft das unter künstlerischer Integrität? Das Album soll jedenfalls mit voller Absicht so blutleer erscheinen wie es klingt. Ganz bewusst, selbstzerstörerisch und ja, Sigur Ros haben jedes Recht dazu, den Einheitsbrei abzuliefern, den sie wollen! Sie gehen den Weg bis zur letzen Konsequenz. «Valtari» bedeutet sinngemäss Dampfwalze. Besser gewählt hätte der Titel nicht sein können, denn Sigur Ros machen mit Freude die Attribute, die sie bisher ausgezeichnet haben, dem Erdboden gleich. 

 

Die Isländer von Sigur Ros schauen unzufrieden aus. 

 

Oder vielleicht doch nicht. Die eigentlich kongenialen Isländer liefern den Supergau zur rechten Zeit. Viel zu gross sind Sigur Ros inzwischen, Konzerte sind ausverkauft, ihre Songs werden für Soundtracks von Blockbustern missbraucht und ihr Stern ist bei den Fans der ersten Stunde im Sinken begriffen. Da haben Sigur Ros sich für den Rückwärtsgang entschieden und bewegen sich bewusst neben den gewohnten Pfaden. Heraus gekommen ist ein ernüchterndes, zielloses und irgendwie hilfloses Album. Nur die warme Stimme von Jón Þór Birgisson sowie die handwerkliche Stärke erinnern an Sigur Ros, wie man sie kennt. Natürlich wollten Sigur Ros ihre Karriere nicht beenden. Aber das Album wird für Diskussionen sorgen. 

 

Man kann «Valtari» als Dreh- und Angelpunkt in der Karriere von Sigur Ros ansehen. 2012 hauen die Isländer sämtliche Erwartungen in Schutt und Asche, füllen ihr Album mit hypnotischem Müll und ebnen sich so den Weg in die Freiheit, befreien sich mit bewusster Zurückhaltung aus den Fesseln des Erfolgs. Zurück in die Selbstbestimmung, die wirkliche Entscheidungsfreiheit, jenseits jeglichen Verlangens. Tabula Rasa ist bei Sigur Ros also das Credo. Back to zero. Sigur Ros fangen bei Null an und wir dürfen gespannt sein, wie sie klingen, wenn sie sich in Zukunft wieder unterhalb des Kult-Radars bewegen. «Valtari» wird ihre Popularität zumindest temporär etwas dämpfen, aber damit können Sigur Ros gut leben. 

 

  • Künstler: Sigur Ros 
  • Album: Valtari
  • : Ab sofort im Handel
  • Sigur Ros spielen im August an den Winterthurer Musikfestwochen. Leider ist das Konzert ausverkauft.
Patrick Holenstein / Fr, 25. Mai 2012