Etwas Spektakuläreres kann einem niemand vor die Nase setzen

Interview: Ralph Larmann
Bildquelle: 
@ Reinhard Langschied

Der Deutsche Ralph Larmann zählt zu den renommiertesten Konzertfotografen unserer Zeit. Er hat die irische Rockband U2 während der 360°-Tour begleitet und einzigartige Bilder geschossen. Vor wenigen Tagen erschien der Bildband «Um die Welt in 760 Tagen», in dem diverse von Larmanns Bildern zu sehen sind. Im Gespräch erzählt er von seinen Erfahrungen auf Tour, erläutert, welches Equipment er verwendet hat, und erzählt von seinem Buch.

Wie ist die Idee entstanden, U2 um die Welt zu begleiten?
Das ist aus der Zusammenarbeit mit U2 entstanden. Ich bin mit dem Setdesigner Willie Williams schon seit längerer Zeit in Kontakt und wir haben einen sehr guten Draht zueinander. Ich habe zwei Bildbände über Bühnendesign veröffentlicht und bin so mit ihm näher in Berührung gekommen. Für meinen ersten Bildband habe ich die Vertigo-Inszenierung von U2 fotografiert. Die Bilder habe ich Willie Williams beim Konzert in Berlin gegeben. Irgendwann, so zwei, drei Monate später, schrieb er mir eine Mail, dass er endlich Zeit gefunden habe, meine Bilder zu sichten. Er sei so begeistert und wolle mir sagen, dass es die schönsten Bilder der Vertigo-Tour seien, die er gesehen habe und ob er sie für seine Webseite verwenden dürfe. Dem habe ich natürlich sofort zugestimmt. Dann kam die 360°-Inszenierung  und Willie wollte mich als Fotograf dabei haben. Also hat er das der Band offeriert. Ich kam schliesslich in Berlin dazu und habe die erste Show fotografiert. Dort ist dieses Sternbild entstanden, das, wo der Stern über der Bühne steht. Als ich beim nächsten Konzert in Gelsenkirchen ankam, hatte nahezu jeder von der Crew das Bild als Hintergrund auf seinem Handy. So ging das seinen Weg. Danach habe ich die beiden Shows im Londoner Wembleystadion fotografiert, war nochmals in Frankfurt dabei und dann im Sommer 2011 eine Woche mit der Band in Amerika unterwegs. Zuvor hatten Willie und ich schon darüber gesprochen, wie schön es doch wäre, über diese Tour ein Buch zu machen. Irgendwie ist das auf seinem und meinem Mist gewachsen und so ist dieses Projekt auf den Weg gekommen. Die Bilder, die ich in Amerika gemachte, sind schon explizit für das Buch entstanden. Da war schon klar, dass wir das Buch machen.

 

Die Bühne in Berlin mit dem Stern auf der Spitze. (© Ralph Larmann)


Mit welchem Equipment haben Sie denn fotografiert?
Um die best mögliche Qualität für das Buch zu produzieren, die wirklich State of the Art ist, habe ich eine Kooperation mit Leica auf den Weg gebracht. Die Firma hat mich mit zwei digitalen S2 Mittelformatkameras ausgestattet. Zudem hatte ich in Amerika einen Prototyp eines 30mm Objektivs dabei. Sämtliche Bilder in den USA, bis auf eine Ausnahme, wurden mit der Leica gemacht. Die ganze Crew war so begeistert von der Qualität und der Tiefe und der Dynamik der Bilder. Also hat man sich auch viel Zeit gelassen, was ich der Band hoch anrechne. Zu sagen: Ok, wir machen keinen Schnellschuss, sondern wir lassen dem Buch die Zeit, die es braucht, um dann auch in jeder Hinsicht toll zu sein. Die Zeit hat man sich genommen. Diese Woche ist es tatsächlich weltweit erschienen und es ist wirklich ein Traum. Ich kann es gar nicht anders sagen. Es ist so ein fantastisches Buch geworden, mit den Texten, die grösstenteils von Dylan Jones stammen und der das auch so wunderschön rüberbringt. Die Band redet Tacheles, ist auch selbstkritisch und diese selbstkritischen Töne sind im Buch. Ich finde, das wirkt so ehrlich und authentisch und so kraftvoll. Besser hätte es nicht sein können. Ich kenne kein vergleichbares Buch einer Band, die das über eine Tour hinweg so realisiert hat. Es ist somit auch ein weiterer Meilenstein, den U2 damit setzt.

Was dachten Sie denn, als Sie die Bühnenkonstruktion das erste Mal sahen?

Ich war ja schon extrem nervös, als ich auf dem Weg nach Berlin war. Meine Frau meinte zu mir: «Was ist denn mit dir los? Sonst bist du doch nicht so aufgeregt.» Ich wusste schon, dass mich da was ganz Besonderes erwartet und als ich in das Olympiastadion reinkam, hat sich auf einen Schlag bewahrheitet, das dort etwas ganz Spezielles darauf wartet, von mir fotografiert und dokumentiert zu werden. Die Konstruktion zum einen und die Show zum anderen. Ich fotografiere seit 20 Jahren Bühnen, Shows und Inszenierungen, aber das hat alles getoppt beziehungsweise das ist so einmalig, was die Band da gemacht hat mit dieser Show, mit dieser Konstruktion und mit dieser Inszenierung. Das wird bleiben.

Wie war das Leben auf Tour mit U2 für Sie?
Die Woche in Amerika war wie ein Film. Nur schon dort hin zu kommen. Ich habe am Abend vorher im Olympiastadion noch für Mario Barth eine Show fotografiert und bin dann direkt von Berlin nach New York geflogen, wurde dort von einem Chauffeur abgeholt, zum Privatjet gefahren und dann zwei Stunden weitergeflogen nach St. Louis. Ich war also von Berlin über New York nach St. Louis gereist und habe am selben Abend die Show geschossen. Das war ein Trip. In St. Louis aus dem Flieger raus, in einen Van und mit Polizeieskorte ins Stadion. Ich sass im Van und dachte: «Was ist das für ein Film, denn du gerade erlebst?» Es ist einfach diese ganze Magie, die diese Band hat und zugleich aber diese Bodenständigkeit, wenn man in die Crew kommt. Alles ist normal und keiner ist irgendwie durchgeknallt und hat rosa Klamotten an oder macht einen auf Superstar. Überhaupt nicht, alles ist entspannt. Man fährt da, links und rechts Polizeimotorräder und die Autobahn wird freigeschaufelt. Ich meine, als Fotograf ist das Wahnsinn. Das waren mit die schönsten Momente in meinem beruflichen Leben.

Wie gehen Sie bei so einem Auftrag vor?
Da muss man einfach auf dem Punkt sein, da kann man nichts dem Zufall überlassen. Ich gehe auch jede Show an wie die erste, immer wirklich konzentriert und mache 100 Prozent meinen Job. Ich glaube, das sehen die Leute langsam auch in meiner Arbeit. Ich geniesse es einfach. Wir sind ja dann noch nach Minneapolis geflogen, wo es sehr stark geregnet hat. Das sieht man ja an diesen Regenbildern. Es regnete so stark, dass der Regen vom Boden wieder aufsprang. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Aber die Band hat durchgespielt und hat das genossen. Bono hat dann noch «and when the rain comes» gesungen. Die haben das zelebriert. Es war ein warmer Sommerregen, tropisch und kräftig, aber keiner ist da rausgegangen und sagte: «Scheisse, es regnet», sondern alle haben gedacht: «Wow, es regnet.» Das muss man sich mal vorstellen, dass ein Künstler so eine Stimmung dreht und so für das Publikum jeden Abend zum Genuss werden lässt. Das ist schon eine hohe Kunst.

 

Bono im Regen von Minneapolis. ( © Ralph Larmann)


In Zürich hat es ja auch in Strömen geregnet. Wie ist es für Sie im Regen, ist die Arbeit schwieriger?
Natürlich. Ich fotografiere zwar nicht anders, aber als es in Minneapolis losging, habe ich mir ein riesiges Handtuch geholt und war beständig nur damit beschäftigt, meine Kameras trocken zu reiben, weil ich ja keine spezielle Regenausrüstung dabei hatte. Die habe ich mir anschliessend gekauft. (Lacht). In Minneapolis musste ich einfach improvisieren. Ich hatte ja diese megateuren Leica-Kameras, so ein Gehäuse kostet 19‘000 Euro. Die will ich natürlich nicht im Regen untergehen lassen, aber es blieb mir nichts anderes übrig, als weiter zu fotografieren und die Kameras haben durchgehalten, haben faszinierende Bilder gemacht und von daher habe ich das irgendwie auf die Reihe bekommen. Ich war ja bis auf die Socken komplett nass. Zum Glück hatte ich meinen Koffer im Stadion, weil ich direkt nach der Show von Minneapolis nach Frankfurt geflogen bin und so konnte ich mich im Stadion umziehen. Also inklusive Schuhe. Ich musste mich komplett neu anziehen, weil ich so nass war, als ob ich ins Schwimmbad gehüpft wäre. Es war totaler Wahnsinn. Das habe ich noch nicht erlebt.

Wie sehr kam Ihnen die Bühnenkonstruktion entgegen? Ist die, sagen wir mal, freundlich für einen Fotografen gebaut?
Ich meine, was will ich denn mehr? Etwas Spektakuläreres zum Fotografieren kann einem ja kein Künstler vor die Nase setzen. Man sieht es ja in meinen Bildern, ich spiele mit der Architektur. Ich verknüpfe in meinen Bildern den Künstler und die Bühneninszenierung miteinander. Ich hebe nicht den Künstler einzeln raus, sondern mir ist immer sehr wichtig, dass ich diese Verbindung zwischen Künstler und Inszenierung schaffe. Denn, was macht es sonst für einen Sinn? Da kann ich den Künstler gleich in einem Studio fotografieren. Als meine Aufgabe sehe ich immer, die Inszenierung als Ganzes zu erfassen, von daher war diese Show natürlich die Inspiration schlechthin. Besser kann man es einfach nicht machen.

Haben Sie ein Konzert, das Ihnen besonders in Erinnerung bleiben wird?
Alle. Natürlich war für mich das Regenkonzert ganz besonders. Jede Show ist in jedem Stadion anders. In London, natürlich, das Wembleystadion. Da habe ich dieses Kugelpanorama gemacht, das man auf meiner Webseite anschauen kann. Ich habe der Band gesagt: «Was haltet ihr davon? 360°-Tour und 360°-Bild. Passt doch.» Dann habe ich in Gelsenkirchen die ersten Kugelpanoramen gemacht und wusste in London schon, dass es bei «Where The Streets Have No Name», das einzige Lichtfenster gibt, bei der das Stadion komplett mit Weisslicht ausgeleuchtet ist. In diesen 30 oder 40 Sekunden musste ich fünf Aufnahmen machen, die von mir nachher zu einem Kugelpanorama zusammengefügt wurden.Aber auch New York und St. Louis waren speziell, jedes Stadion hat eine ganz eigene Architektur. In St. Louis war die Verbindung mit diesem Bogen da, bei der dann die Spitze der Bühne in diesen Bogen passt. Ich hätte bei allen hundert Konzerten dabei sein können und hätte immer wieder spannende Motive gefunden. Das ist eine Produktion, die mit Sicherheit zu keiner Zeit langweilig geworden wäre. Jedesmal neu, jedes Mal hätte man etwas Neues kreiert. Von daher bin ich super glücklich, acht Shows fotografiert zu haben. Und diese Vielfalt, diese unterschiedlichen Blickwinkel, im Buch realisiert haben zu können.

Die Bühne fügt sich in St. Louis in die Skyline ein. (© Ralph Larmann)


Wenn man so lange unterwegs ist mit U2, da erlebt man sicher unglaublich viel. Haben Sie eine Anekdote, die Sie erzählen können?
In Gelsenkirchen kam Bono zu mir und hat sich wirklich persönlich bei mir für diese Bilder bedankt, die ich in Berlin gemacht habe, und meinte: «Thank you for the Pictures». Mein Gott, das ist das grösste Kompliment, das er einem geben kann, wenn er die Bilder von einem so wahrnimmt. So lange ich das tun darf und ich gesund bleibe, ist mein Leben einfach perfekt.

Was haben Sie denn von Fans für Resonanzen auf das Buch?
Ich habe dazu eine schöne Geschichte. Vor ein paar Tagen bin ich nach München zurückgefahren und hatte gerade die deutsche Version des Buches erstmals bei mir. Ich hatte Zeit mal rein zu lesen, rein zu gucken und in Ruhe die Texte zu lesen. Da sass jemand neben mir, eine junge Frau, die auch gearbeitet hat. Ich blätterte also im Buch und als die junge Frau in Frankfurt ausstieg, meinte sie, wie faszinierend das sei. Sie sei auch bei der Show in Berlin dabei gewesen und müsse sich sofort das Buch kaufen. Dann habe ich ihr gesagt, dass ich die Bilder gemacht habe. Da war sie völlig perplex und zwei Tage später schrieb sie mir eine Email, dass es die schönste Zugfahrt gewesen sei, die sie jemals gemacht hätte. Und dass sie total begeistert war und einfach nicht umhin kam, immer wieder rüberzuspitzeln und in das Buch reinzugucken, um die Bilder anzusehen. Es war so eine schöne Mail, die da von ihr kam. Ich geniesse das und werde alles daran setzen, den Menschen auch weiterhin tolle Bilder zu liefern, so dass sie die Möglichkeit haben, auch wenn sie nicht dabei waren, so eine Show auf ganz besondere Weise nochmals oder erstmals erleben zu können. Das ist meine Zielsetzung. Auch qualitativ Bilder zu machen, die die Menschen begeistern. Ich glaube, das ist mir hier bei U2 gelungen. Die Reaktionen und die Komplimente, die ich schon erfahren durfte, sind einfach phänomenal.

 


Das Buch «Um die Welt in 760 Tagen» ist im Handel bereits erhältlich. Bäckstage hat das Buch gelesen und ist begeistert. Unsere Kritik gibt es HIER.

Patrick Holenstein / Di, 23. Okt 2012