Genug des Wahnsinns!

Moviekritik: Subtraction
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© trigon-film.org

Wenn die Credits zu «Subtraction» die Teamarbeit am Film würdigen, ist nicht so richtig klar, ob man eben ein Drama gesehen hat oder ein mysteriöses Märchen oder doch eine Studie über Menschen in einer extremen Situation. Zum Glück müssen Filme nicht zwingend in eine Schublade passen. Dafür entwirft «Subtraction» viel zu genüsslich ein Labyrinth, in dem sich unerwartet neue Bereiche öffnen, die oft kleine Details zum Verständnis beisteuern, hin und wieder aber auch mit voller Absicht ins Leere führen.

 

Regen als Symbol für die Gemütslage

 

Die Krux daran ist, dass man möglichst wenig wissen und sich einfach ins Ungewisse stürzten sollte. Darum nur grob die nötigsten Details. Mitten in Teheran gibt die junge Farzaneh (Taraneh Alidoosti) eine Fahrlektion und ist leicht genervt ab der Schülerin, die sich völlig überschätzt. Der ungewöhnliche Dauerregen hilft da wenig. Plötzlich sieht Farzaneh, wie ihr Mann Jalal (Navid Mohammadzadeh) in einen Bus steigt. Ungewöhnlich ist das, weil er eigentlich gar nicht in der Stadt sein dürfte. Spontan folgt sie ihm. Jalal betritt ein Wohnhaus, wo eine Frau wohnt, die Farzaneh unbekannt ist. Der logische Schluss: Jalal hat eine Affäre. Das stürzt die Fahrlehrerin unvermittelt in ein schwarzes Loch und plötzlich passt der Regen zur Gemütslage. Doch ist die Sache so einfach, wie sie scheint? Ab hier verzichten wir auf weitere Details zu Handlung, um den Spass nicht zu verderben.

 

Regisseur Mani Haghighi wurde 1969 in Teheran geboren, hat später in Montreal studiert und kehrte danach wieder in die Heimat zurück. Ihm ist mit «Subtraction» ein spannender Film gelungen, der nicht nur Thriller ist und die Hirnzellen angenehm aktiviert, sondern auch eine gute Portion Mystery in die Geschichte webt. Im Grunde könnte die Grundidee der Geschichte eine Art Urban Legend sein und doch konzentriert sich Haghighi bewusst auf den menschlichen Faktor. Er bringt über die Reaktionen seiner Figuren viel Gefühl in die Geschichte und schafft es dadurch, dass man mitfiebert, manchmal sogar überrascht oder schockiert ist.

 

Teheran im strömenden Regen. Stilisch und mysteriös. (© trigon-film.org)

 

Gleichzeitig nutzt er die visuellen Stilmittel, etwa den Regen, als zusätzliche Ebene. Dass Teheran im ganzen Film nur kurz, in einem glücklichen Moment aus kindlicher Sicht, trocken ist, spricht Bände und unterstreicht die Metaebene. Im Drehbuch stand der Regen zuerst nicht, aber Regisseur Mani Haghaighi fehlte ein Aspekt und irgendwann stiess er auf diese Möglichkeit, um anzudeuten, dass irgendetwas nicht stimmt. Laut Wikipedia zählt die iranische Haupstadt in den Sommermonaten etwa 1 – 3 Regentage im Monat. Das macht deutlich, wie unbehaglich der Regen ist. Haghaighai jongliert voller diebischer Freude mit diesen Gegensätzen, lässt Lebensentwürfe kollidieren und entwickelt so seine Geschichte kompromisslos und radikal.

 

Letztlich ist sein Film eine feine Studie über menschliche Abgründe. Diese sind manchmal naiv, dann wieder arrogant oder fast naiv gut gemeint. Manchmal ertappt man sich dabei, den Kopf zu schütteln ab den Entscheidungen der Charaktere. Nachvollziehbar bleibt das Drehbuch trotzdem, gerade weil man Menschen in durchaus ungewöhnlichen Situationen beobachtet und diese nicht immer rational handeln.

 

Eine Geschichte, wie ein feines Spinnennetz

 

Die Figuren sind detailliert gezeichnet. Gerade die Hauptfigur Farzaneh wähnt sich zwischen Wahnsinn, Selbstzweifeln und Anzeichen von Depressionen. Wenn sie laut «Genug des Wahnsinns!» schreit, spricht das Bände, offenbart nicht nur die Ohnmacht über die Ereignisse, sondern auch ihr Innenleben. Durch diese Facetten wirkt sie jederzeit authentisch und glaubhaft. Navid Mohammadzadeh verkörpert die junge Frau, deren Welt am Zusammenbrechen ist, mit einer geschickten Zurückhaltung, was ihr viel Glaubwürdigkeit verleiht. Alle diese Gegensätze verdichten die zuerst verworrene wirkende Geschichte von «Subtraction» zu einem feinen Spinnennetz. Man kann der Story aber jederzeit gut folgen und weiss stets, woran man ist. Regisseur und Film lassen Zuschauerinnen und Zuschauer nicht im Regen stehen, wollen nicht verwirren, sondern eher fesseln. Dieser Plan gelingt bestens.

 

Vielleicht dreht sich das Karussell von «Subtraction» für manche zu schnell. Lässt man sich aber auf die turbulente Fahrt ein, wird einem ein sehenswerter Film offenbart, der bis zum entlarvend ehrlichen Schlusspunkt viel Spass macht.

 

  • Subtraction (Iran, 2022)
  • Regie: Mani Haghighi
  • Drehbuch: Mani Haghighi, Amir Reza Koohestani
  • Besetzung: Taraneh Alidoosti, Navid Mohammadzadeh, Farham Azizi, Esmail Poor-Reza
  • Laufzeit: 107 Minuten
  • Kinostart: 31. August 2023

 

Bäckstage Redaktion / Di, 29. Aug 2023