Eine Reise durch Südafrika: Dear Reader begeistern Zürich

Konzertkritik Dear Reader im Ziegel Oh Lac
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Pressebild: Dear Reader

Wenn man zur wärmeren Jahreszeit an Konzerte in der Roten Fabrik in Zürich geht, wird man ganz besonders belohnt. An lauen Sommerabenden kann man sich sein Bierchen schnappen und das Warten auf’s Konzert am See verkürzen, mit Blick ans andere Ufer, auf die Stadt und in die Alpen. Mit dieser romantischen Stimmung in der Seele kann ein Konzertabend mit Dear Reader und Support eigentlich nur grandios werden.

Das Vorprogramm bestritten zwei Musiker aus der Hauptband, die mit verschrobenem, reduziertem Indie nicht ganz den Zugang zum Publikum fanden, aber mit ihrer charmant schüchternen Art trotzdem für zufriedene Gesichter im kleinen Saal des Ziegel Oh Lacs sorgten. Es sollte ein schnelles Vorspiel werden, denn bereits kurz vor 22 Uhr beendeten sie ihr Set. Dear Reader eroberten die Bühne gegen halb elf Uhr und wurden vom enthusiastischen Publikum empfangen.

 

Eine tolle Retrospektive


Sängerin Cherilyn MacNeil ist eine unfassbar bezaubernde Person. Vom ersten Ton an hatte sie ihre Musiker und die Zuhörer fest im Griff und begann das Konzert mit einigen Songs des neuen Albums «Rivonia» (dieses widmete sie ihrer Heimatstadt Johannesburg und verarbeitet darin ihre Empfindungen zum Thema Rassentrennung). Man wurde sogleich hineingezogen in eine Welt voller Buschtrommeln, Tanz, Gospel und afrikanischer Landschaft. Dear Reader haben mit «Rivonia» ein Gesamtkunstwerk geschaffen, durch das die südafrikanische Geschichte wie ein roter Faden führt. Garniert wurde das Ganze mit viel Liebe zum Detail, mit zum Teil recht poppigen, treibenden Rhythmen, intensiven Chorgesängen, einer guten Prise Indie und Sperrigkeit und, immer zielsicher darüber, die äusserst charmante und flexible Stimme MacNeil’s. Auch stille Momente scheute die Band nicht und lief immer wieder in Steigerungsverläufen zur Höchstform auf. Das Set war unter anderem eine tolle Retrospektive durch Dear Readers Vorgängeralben und bunt durchmischt mit neuen Songs. Das verlieh dem Konzert eine gute Würze und die Spannung hielt sich vom ersten Song an bis zum Schluss.

 

Eine intensive musikalische Höchstleistung


Dear Reader sind Perfektionisten, sei es an den Instrumenten oder im Gesang. Jeder Ton sass und die Songs wurden mit Leidenschaft und viel Feingefühl intoniert. Zwischendurch sorgten freche Sprüche oder kurze Geschichten der Frontfrau (die übrigens beinahe akzentfrei Deutsch spricht) für noch bessere Stimmung als ohnehin schon herrschte. Das Zürcher Publikum war an diesem Abend überraschend aktiv und herzlich. Dies sorgte auch dafür, dass MacNeil sich nach zwei Songs an die Leute in der ersten Reihe wandte und sie bat, nicht all zu laut mitzusingen, da sie sich selber nicht mehr konzentrieren konnte. Sie tat das aber mit einer derart entwaffnenden Schüchternheit und entschuldigte sich so liebenswürdig beim Publikum dafür, dass man ihr das nicht übel nehmen konnte. Ganz im Gegenteil, im Verlauf des Konzertes realisierte man immer mehr, was da für eine intensive musikalische Höchstleistung von den Musikern gefordert wurde.

Eigentlich gehören Dear Reader auf eine grössere Bühne. Auch wenn es schön war, ein derart überwältigendes und berührendes Konzert im intimen Rahmen zu sehen, würde man der Band mehr Erfolg gönnen. Vielleicht ist es ihre sanfte Bescheidenheit, die sie bis jetzt vom grossen Durchbruch abgehalten hat, denn es ist wirklich verwunderlich, dass Dear Reader immer noch als Geheimtipp gelten.

Das Hauptset beendete die Band mit dem gewaltigen Acapella-Song «Victory», der auch auf «Rivonia» das Ende markiert. Ein gelungener und bombastischer Abschluss für ein tolles, erfüllendes Konzert. Natürlich wurden sie noch einmal auf die Bühne geklatscht und belohnten das Publikum mit zwei Zugaben. Ein wundervoller Konzertabend im herzigen Ziegel Oh Lac, der vielen noch lange in guter Erinnerung bleiben wird.

Natascha Evers / Mi, 15. Mai 2013