Triggerfinger: «Fast alles war erlaubt»

Interview: Triggerfinger
Bildquelle: 
Press Photo / Diego Franssens

Nach einer intensiven Tour im Rahmen ihres letzten Albums suchten Triggerfinger die Ruhe im Heimatland Belgien. Aber nicht lange, denn das Geschehene musste verarbeitet werden. Entstanden ist ein Werk, das den Titel «Colossus» trägt und sich dem Wortlaut musikalisch ähnelt, da während den Studiosessions (fast) alles erlaubt war. Bäckstage hatte die Gelegenheit, ein anregendes Gespräch mit der Band vor ihrem Konzert im Zürcher Mascotte zu führen.

 

Ich treffe die Band an einem Tisch vor einem italienischen Restaurant, direkt neben der Konzertlokalität. Man bestellt heisse Speisen, Wasser und Rotwein. Die Trams rattern im Minutentakt wenige Meter an uns vorbei, man muss ein wenig zusammenrücken, um sich zu verstehen. Vielleicht ist gerade deswegen ein sehr spannendes und fokussiertes Gespräch entstanden.

  

So, Ruben und Mario, was habt ihr in den letzten drei Jahren nach dem Release von «By Absence of the Sun» getrieben?

 

Ruben: Nun, wir beendeten unsere Tour im Dezember 2015, sind für einige Monate zuhause gewesen und kurze Zeit später begann ich, am neuen Album zu schreiben. Auch wenn wir dazwischen nicht getourt haben, zu tun gab es trotzdem viel, gerade für ein neues Album. Zudem hatte es auch viel Spass gemacht, nach langem Touren wieder etwas Neues zu kreieren. Beim Touren gibt man sehr viel Energie nach aussen, der Prozess beim Aufnehmen ist eher umgekehrt. Es ist spannend, Dinge um dich zu beobachten, Bücher zu lesen und dann etwas daraus zu machen.

 

Das heisst, ihr arbeitet während einer Tour nicht unbedingt an neuen Songs?

 

Ruben: Man hat schon ein paar Ideen, aber die bekommt man auch sonst. Diese werden dann mit dem Smartphone aufgenommen, irgendwo notiert. Aber allgemein gesagt beginnt das Schreiben dann, wenn wir ein neues Album machen wollen. Wir entscheiden: «Ok, jetzt fangen wir mit dem Songwriting für ein neues Album an!» Deadlines sind immer gut, ein strukturierter Arbeitstag ist besonders hilfreich. Wenn man vier, fünf Tage die Woche an Songs arbeitet, gewöhnt man sich daran und findet gewisse Harmonien schneller. Ich nenne das eine Art «kreative Konzentration». Es ist wirklich lustig, denn ich realisiere, dass das Gehirn zwei Seiten hat: eine kreative Seite, zum Beispiel, wenn ich am Songs schreiben bin, dafür kann ich nicht am gleichen Tag meine Buchhaltung machen, mein Kopf ist dann völlig an einem anderen Ort.

 

(Der Wein kommt, wir stossen gemeinsam an.)

 

Ruben: Es ist ein gutes Gefühl, nach einem intensiven Jahr das Album fertigzustellen und es dann Live auf die Bühnen zu bringen. Man hat einen Sack voller neuen Songs, die darauf warten, vor einem Publikum gespielt zu werden.

 

Euer neues Album tönt ein wenig anders als eure letzten. Es sind Instrumente wie Bläser, Akustikgitarre oder auch Samples zu hören. Man kann richtig eintauchen in die Songs, entdeckt bei jedem Hören neue Dinge, auf die man vorher nicht geachtet hat. Wie kam dies zustande, war es eine Entscheidung, die ihr gefällt habt, oder ein Prozess, der sich im Studio dann so ergeben hat?

 

Ruben: Nun, wir haben ein paar Alben mit der «typischen» Rockformation gemacht: Drums, Guitar Bass, oftmals von einer Live-Atmosphäre ausgehend. Drei Männer in einem Raum, die zusammenspielen und miteinander interagieren, was dann den Vibe eines Albums bestimmt. Wir sind sehr zufrieden mit dieser Art zu arbeiten, dachten aber gleichzeitig, dass wir etwas Anderes brauchen. Man will sich selber herausfordern und die Dinge interessant gestalten, auch für sich selber.

Meine Demos tönen ganz anders, als sie auf dem Album nun zu hören sind. Zudem haben wir Drei untereinander eine Art Arrangement getroffen, dass jeder seinen Teil zu einem Song beiträgt, was man auch hören kann.

 

(Der Kellner kommt, um die Bestellung aufzunehmen.)

 

Ruben: Dennoch haben wir am Anfang keine fixe Idee gehabt, wie das Album sein soll. Man beginnt, Songs zu schreiben und schlussendlich zeigt die Musik ihr Gesicht und führt dich dann weiter.

Zusätzlich haben wir ein Studio in meinem Haus gebaut, viel Technikkram und Instrumente liegen da rum, «everything makes noise in there». Ich kann mitten in der Nacht eine Idee aufnehmen, alle schlafen, trotzdem kann ich meinen Amp so laut aufdrehen, wie ich möchte. Es ist grossartig.

 

Üblicherweise sende ich meine Demos an die anderen zwei Jungs und an Mitchell (Anm. d. Red.: Mitchell Froom, Produzent des neuen Albums, der zusammen mit Engineer Tschad Blake mit Bands wie Los Lobos, Elvis Costello, Tom Waits, Arctic Monkeys und The Black Keys gearbeitet hat) frage sie, wie sie den Song mögen. Natürlich werden nicht alle Songs, die ich schreibe, Triggerfinger-Songs.

 

Mario: Wir haben uns am Anfang entschieden, Dingen den freien Lauf zu lassen, um zu sehen, was passiert. Somit haben wir experimentiert, was zu grossartigen Resultaten führte. Die Demos von Ruben hatten bereits eine grossartige Atmosphäre, wir waren begeistert. Trotzdem war es manchmal schwierig, etwas Anderes hinzu zu fügen, um das Demo noch ein Level zu erhöhen. Oftmals dachten wir: «Hey, ist das nicht zu viel? Oder sollen wir nicht lieber das probieren, oder das?» Man identifiziert sich schnell mit den Songs und klammert sich an einer Version davon fest. Das kann aber auch ein gutes Gefühl sein. Wenn etwas Spezielles passiert, weiss man es sofort. Und sonst probiert man weiter. Es kann passieren, dass man mit einem super Gefühl nach Hause geht, dort dann den Song nochmals anhört und sich denkt: «Hmm, was ist das denn?»

 

Ruben: Genau, wenn man sich nicht Grenzen setzt, kann es auch vorkommen, dass es umso schwieriger wird, kreativ zu sein. Trotzdem versuchten wir, offen zu bleiben und mit allen fünf Beteiligen die Songs auszuarbeiten. Im Studio in Santa Monica fingen wir an, die Demos live zu spielen oder mit den Demos zusammen unsere Instrumente zu bedienen. Wir haben beides ausprobiert, viele Dinge eingespielt, weggenommen, wieder verworfen. Die existierende Atomsphäre der Demos wurde somit auf ein neues, anderes Niveau gehoben.

 

Ich gebe ein Beispiel: «Afterglow» vom neuen Album, entstand auf diese Weise. Die Basis des Songs ist immer noch das Demo mit der Stimme und der Akustikgitarre. Es ist sogar das erste Mal, dass ich diesen Track gesungen habe. Ich habe am Morgen angefangen, daran zu schreiben, am Nachmittag habe ich ihn sogleich aufgenommen. Dazumal hatte ich aber nicht das Gefühl, dass ich die aufgenommene Version weiter in einen Song basteln könnte. Er hatte nicht genügend Hand und Fuss. Alle hatten dasselbe Gefühl und wir sagten uns: «Warum arbeiten wir nicht umgekehrt, lass das Demo laufen und wir spielen gleich dazu mit unseren Instrumenten.»

 

Es war wirklich crazy, es gab einige Momente, bei denen Mario und Paul den Song gemeinsam hochgehoben haben und verschiedenes ausprobierten. Trotzdem wurde die erste Version die, welche man auch auf dem Album nun hört! Was ich eigentlich damit sagen will: Manche Demos haben etwas Spezielles, Eigenes, tönen aber soundtechnisch nicht gut genug, um auf einem Album zu bestehen. Also probiert man im Studio von vorne und nimmt den Song dort neu auf. Man erhält einen besseren Sound, verliert aber die Spontanität des Demos. Mit unser Idee, beides zu kombinieren, hatten wir die Möglichkeit, die Spontanität und Atmosphäre zu behalten. Gleichzeitig wurde die Qualität der Aufnahme besser, als wir weitere Spuren hinzufügten. Es war wirklich ein Spass, so zu arbeiten. Klar hatten wir Probleme und Schwierigkeiten im Studio, gerade weil jedes Mitglied im Prozess involviert war.

 

Mario: Bei «Candy Killer» fügten wir einen zusätzlichen Bass zur bestehenden Bassspur hinzu. Wir dachten, «Hm, der Song braucht noch etwas» und so haben verschiedene Dinge ausprobiert. Und: Der Song war besser, also haben wir die Idee behalten.

 

Ruben: Es war kein Egoprojekt, jeder war in den Prozess involviert und tüftelte daran, die Songs besser zu machen. Alle dachten sich: «Wir wollen das coolste Album machen, so gut es geht!»

 

Ich merke an eurem Enthusiasmus, dass es viel Spass machen musste, dieses Album aufzunehmen. Wie setzt ihr all diese vielschichtigen Songs nun live um? Musst ihr einige Dinge weglassen?

 

Ruben: Nun, wir proben! (allgemeines Gelächter)

 

Ich verstehe. Abgesehen vom Proben, habt ihr zusätzliche Musiker auf der Bühne dabei?

 

Ruben: Dies ist das erste Mal, dass wir Mitmusiker auf der Bühne haben.

 

Mario: Eigentlich haben wir zwei Musiker: ein Keyboardplayer und ein Gitarrist. Je nachdem, wer an den Konzerten dabei ist, wird eingesetzt. Also haben wir zwei verschiedene Bühnensetups, die nie gleichzeitig spielen. Es ist wirklich spannend. Wenn wir in England unterwegs sind, sieht man dann uns drei, es ist also nie gleich, jeder Abend unterscheidet sich vom vorherigen.

 

Ruben: Auch für uns ist es ein gutes Gefühl, um nicht ins Abgedroschene zu driften. (Mario und Ruben lachen laut)

 

Abgesehen von des sich stetig ändernden Band-Setups, wird es euch jemals eintönig beim Touren?

 

Mario: Nun, wir haben eine grosse Pause gemacht seit der letzten Tour, somit ist es wieder lustig und interessant, zusammen auf Tour zu sein. Aber klar, bei langen Tourneen kann es einem auch physisch mitnehmen. Nach dem «I Follow Rivers»-Ding waren wir mehr oder weniger fünf Jahre pausenlos unterwegs, haben dazwischen ein Album gemacht und dann gleich wieder ab in den Bus. Es war ein sehr intensives Gefühl in dieser Zeit.

 

Ruben: Wir mussten aus diesem Gefühl raus, jeder musste die ganze Sache überdenken, sich ein wenig fassen. Denn wenn du immer weiter und weiter in einem Rennen bist, kannst du niemals anhalten und von aussen auf das Geschehene blicken. Wir haben eine grossartige Gruppe toller Leute, die mit uns zusammenarbeiten. Aber klar, wie bei jedem Job gibt es gute und schlechte Tage, auch wenn es der beste Job in der Welt ist. Die Gerüchte, die Leute erzählen, dass es der beste Beruf ist, sind wahr. Es ist grossartig! Trotzdem passiert es nicht von alleine. Man wird sich nicht die ganze Zeit gut fühlen.

 

Blick in die Zukunft: 2018 markiert euer 20-jähriges Bestehen als Triggerfinger. Habt ihr etwas Spezielles hierfür geplant?

 

Mario: Nun, im Januar gehen wir nach Spanien, Belgien und Holland. Sehr wahrscheinlich zurück nach England, vielleicht auch die Schweiz, es ist aber noch nichts fix. Manche Dinge sind geplant, manche noch nicht. Dann fängt natürlich im Mai bereits die Festival-Saison an, Ende Oktober ist eine Frankreich-Tour geplant.

 

Ruben: Es ist wie Mario sagt: wir haben einen Basisplan, aber unterwegs kann sich dennoch vieles ändern. Wir wollen unser Album ausgiebig auf möglichst vielen Bühnen zeigen!

 

(Das Essen kommt.)

 

Mario, Ruben, vielen herzlichen Dank für das spannende Gespräch und «en Guete»!

 

Triggerfinger - «Colossus»

 

Wir waren danach auch am Konzert: Kritik

 

David Schaufelberger / Mi, 01. Nov 2017